4/2024 27 tragen“, erzählt Jean-Pierre Filiu, ein Experte für mittelalterlichen Geschichte, in seinem Blog. Er beruft sich auf diplomatische Notizen. Da sie das Gesicht verdeckte, konnte ihr Träger unerkannt bleiben. „Die Bourgeoisie übernahm das Kopftuch der fellahin, um Einheit gegenüber der Besatzungsmacht zu demonstrieren. Dadurch beflügelte sie einen aufstrebenden Nationalismus und löschte alte Identitätsmarker“, fügt Jane Tynan hinzu. Für sie steht die Kufiya für eine „Umkehrung der sozialen Hierarchie“. Eine neue Dimension bekam die Kufiya, die schon ein Emblem des Widerstands und der Einheit auf arabischer Ebene war, ab den 1960er Jahren unter dem Einfluss von Jassir Arafat: „Der charismatische Anführer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) trug das Tuch über die rechte Schulter gefaltet, sodass es an die Konturen des Mandatsgebiets Palästina erinnerte“, erklärt Jane Tynan. Dieses Symbol wurde bald von der westlichen Jugend übernommen, die von solchen Aufständen fasziniert war. „So wurde die Kufiya zur trendigen und etwas glamourösen Darstellung von Aufstandsbewegungen.“ Genau zu dieser Zeit, am Anfang der 1960er Jahre, stellte Yasser Hirbawi seine ersten Webstühle in einer kleinen Wohnstraße von Hebron auf. „Früher importierte mein Vater die Kufiyas aus Syrien. Aus Liebe zu Palästina entschied er sich dafür, in seiner Geburtsstadt zu produzieren“, erzählt sein Sohn Izzat. Das Geschäft boomte. Die Nachfrage war so groß, dass die 15 in Japan gekauften Webmaschinen auf Hochtouren liefen. Beinahe 100.000 Kufiyas verließen jedes Jahr die Fabrik. Jassir Arafat selbst kaufte bei Hirbawi ein und wertete dadurch die Kufiya „made in Hebron“ auf. Auch wenn das schwarzweiße Modell 70% der Verkäufe bildete, bot die Fabrik auch ein rot-weißes an, das als Emblem der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) ebenfalls jenseits des Jordans getragen wurde. Kulturelle Aneignung Dann kam der Stillstand. In den 1990er Jahren stockten die Verhandlungen über das Friedensabkommen, die Fabrik wurde von der chinesischen Konkurrenz überrollt. Die billigen Kufiyas überschwemmten die Touristenläden und den internationalen Markt. „Deren Qualität ist schlecht, aber sie kosten nur ein Viertel von dem, was wir verlangen (Anm.: eine originale Kufiya kostet knapp 10€)“, klagt Izzat Hirbawi. Der Oslo-Friedensprozess 1993 und die Pariser Protokolle 1994 bedeuteten den Beginn der wirtschaftlichen Abhängigkeit der palästinensischen Gebiete gegenüber Israel und des Niedergangs der lokalen Industrie, ihr Markt schrumpfte zusehend. Die Webmaschinen laufen heute Blick in den Verkaufsraum: die sehr farbigen Tücher werden fast ausschließlich an Touristen verkauft Kufiya Kufiya
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