Franziskaner - Frühling 2021

3 franziskaner 1|2021 Von der Gnade der Ursprünge Angenommen, es gäbe in ganz Deutschland noch etwa 30 Minderbrüder – alle zusammen, wir braunen Franziskaner, Franziskaner-Minoriten und Kapuziner.Was könnte ein solch kleines Häufchen überhaupt tun?Wir könnten mit Mühe gerade einmal eine Handvoll Klöster »besetzen«. Armselig wäre das doch, oder? Und was wäre, wenn wir gar keine Klöster hätten? So wie die gut 30 Brüder, die vor 800 Jahren aus Assisi über die Alpen kamen und sich im Herbst 1221 in Augsburg zu einem ersten Kapitel trafen.Wir müssten keine vorgegebenen Strukturen, keineWerke, keine Gebäude aufrecht­ erhalten.Wir könnten einfach fragen:Wer braucht uns?Wo wollen wir leben? Oder etwas spiritueller:Wohin ruft uns Gott durch die Herausforderungen der Zeit? Spannend wäre das. Ein wenig beunruhigend. Aber auch reizvoll und schön! Jubiläen sind Alterserscheinungen. Im Alter ist man nicht mehr so beweglich wie in der Jugend. Und man schaut gerne zurück. Erinnerung lähmt, wenn sie zur Nostalgie erstarrt. Sie kann aber auch Lust machen auf Zukunft. Mir gefällt dasWort von der »Gnade der Ursprünge«. Damit ist nicht gemeint, dass am Anfang alles gut ist und im Lauf der Zeit dann immer schlechter wird. Wir können auch nicht zum Anfang zurück. Leben geht immer vorwärts. Aber in jedem Anfang steckt eine Inspiration, die nicht notwendigerweise nach und nach verblasst, sondern nach Jahrhunderten noch genauso lebendig sein kann wie zu Beginn. Die Quelle des Evangeliums sprudelt heute wie vor 2000 Jahren. Und das Feuer, das Franz von Assisi entfacht hat, leuchtet immer noch. 800 Jahre Minderbrüder in Deutschland. Bei diesem Jubiläum geht es nicht um Geschichte und nicht nur um uns Brüder. Es geht um die franziskanische Idee. Und die ist auch lebendig bei den vielen Schwestern von Franziskus und Klara, im Dritten Orden, bei Vivere und franziskanischen Weggemeinschaften, in ungezählten Sympathisantinnen und Sympathisanten des kleinen Armen aus Assisi und vielfältigen Initiativen, die von ihm inspiriert sind. Auch in dieser Zeitschrift! Wie herausfordernd aktuell der franziskanische Impuls ist, zeigt uns Papst Franziskus, der eine arme Kirche für die Armen will, mit seinem Schreiben »Laudato si‘« zur Sorge für die Schöpfung drängt und in »Fratelli tutti« zu universaler Solidarität aufruft. Die Gnade der Ursprünge ist kein Schnee von gestern. Sie ist eine Vision von morgen. Cornelius Bohl OFM (Provinzialminister)

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