Franziskaner - Sommer 2021

46 franziskaner 2|2021 Grundgesetz Artikel 20a: »Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.« Generationengerechtigkeit K ennen Sie Artikel 20a unseres Grundgesetzes? Sie sollten ihn kennen, denn er wird Ihr und unser aller Leben in den kommenden Jahren massiv beeinflussen. Artikel 20a unseres Grundgesetzes verpflich- tet den Staat zum Klimaschutz und zielt auf die Herstel- lung von Klimaneutralität. Bislang ist diese für Deutsch- land durch das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung vom Dezember 2019 für das Jahr 2050 vorgesehen. Wie sind die Maßnahmen zur Reduktion klimaschädi- gender Gase geregelt? Stellen Sie sich vor, Sie sind zu einem Fest eingeladen. Gegessen wird in drei Schichten. Die erste Gruppe der Gäste bekommt ein opulentes Drei- Gänge-Menü serviert. Für die zweite kommt ein einfaches Tellergericht auf den Tisch. Den Gästen der dritten Run- de wird mitgeteilt, sie bekämen das, was die anderen übrig gelassen hätten. Vermutlich fänden Sie dies schlicht ungerecht. So hat es auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom24. März 2021 gesehen. Das Klimaschutzgesetz beinhalte eine zu hohe Ungleichverteilung der Emissionen klimaschädigender Gase. Während in den ersten Jahren noch zu viele erlaubt seien, müssten kommende Genera- tionen unverhältnismäßig hohe Einschränkungen in Kauf nehmen. Die Richter sehen die Klagenden – u.a. junge Menschen der Bewegung »Fridays for Future« – in ihren Freiheitsrechten verletzt, da die Vorschriften hohe Emis- sionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030 verschieben. Erstaunlicherweise hat die Bundesregierung nur eine Woche nach dem Urteil einen neuen und schärferen Gesetzesentwurf vorgelegt, der eine Klimaneutralität für Deutschland bereits für das Jahr 2045 vorsieht – statt wie bislang für 2050. Nun gilt es: Umbau unserer Wirtschaft, Entwicklung klimafreundlicher Technologien, massiverer Ausbau erneuerbarer Energien, schnellerer Kohleausstieg (nicht erst 2038), neueMobilitätskonzepte, Umstellungen in der Landwirtschaft usw. Dies ist dringend gefordert, denn in knapp sieben Jahren ist das weltweite CO2-Budget aufge- braucht, soll das Pariser 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden. Der CO2- Ausstoß der Welt muss bis 2040 linear sinken und dann bei null liegen. Aktuell steigen die Emissionen und damit der globale Tem- peraturanstieg konstant weiter. Auf Hawaii wurde im April 2021 der höchste CO2-Gehalt gemessen, den wir jemals hatten. Es ist also höchste Zeit zum Handeln! Die Klimakrise ist schlicht eine Gerechtigkeitsfrage: Der Gerechtig- keit zwischen den Menschen, die jetzt auf unserem Planeten Erde leben, und der Gerechtigkeit zwischen unserer und den kommenden Generationen. Und da ist mit Papst Franziskus nicht zu leugnen, dass wir eine »ökologische Schuld« tragen. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt seien. Der Staat hat somit das Recht und die Pflicht, in Abwägung mit anderen Grundrechten meine Freiheit einzuschränken. Dies betrifft nicht nur Corona, sondern auch das Klima! Es gab viel Beifall für das Urteil. Nur sollte sich jede und jeder vor Augen führen: Das betrifft mich und meine Lebensweise! Ich kann nicht so konsumorientiert weitermachen wie bisher, soll das Klima- ziel erreicht werden. Das bedeutet nicht, ein schlechteres Leben zu führen, aber ein einfacheres. Es braucht eine Neudefinition von »Wohlstand«, es braucht eine Neuausrichtung hin zumGemeinwohl für alle. Wir alle sind Teil des Staates und seiner Verpflichtung zum Klimaschutz. Betrachten wir dies nicht unter dem negativen Vorzei- chen von Freiheitseinschränkungen, sondern als positiven Aufruf, unsere Lebensräume und unsere Lebensweisen kreativ klimafreund- lich zu gestalten. Wir schulden es kommenden Generationen! Stefan Federbusch OFM kommentar © stock.adobe.com – es sarawuth

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