Franziskaner - Herbst 2022

wie mit macht umgehen? Macht ist überall: in der Politik, auf meiner Arbeitsstelle, im Familiensystem, bei mir selbst. Es gibt kein Leben ohneMachtstrukturen. Die Hauptfrage ist: Wie wirdmit ihr umgegangen? Sie kann machtvoll eingesetzt werden für das Gelingen und Schaffen von Gerechtigkeit und die hehren Ziele der Menschheit. Sie braucht dafür Begleiter: Maß und Mitte, positive Ziele, Wünsche nach Veränderung, Weiterentwicklung. Die Erfahrung zeigt: Macht wird nicht in diesem Sinne eingesetzt. Egoistische Kräfte undMachtsteigerung zuungunsten anderer greifen nach ihr, bemächtigen sich ihrer. Machtmissbrauch wird auf das Schärfste angeprangert – zu Recht. Die aktuellen Debatten beim Synodalen Weg über das Thema Macht und Machtmissbrauch zeigen deutlich, dass es an mindestens zweierlei fehlt: »praktisch« an der Kontrolle von Macht und »moralisch« an der Aneignung des jesuanischen Machtbegriffs. Biblisch gibt es ein Ideal von Macht: Sie wird eingesetzt zum Wohl aller Menschen. Sie ist ein Mittel, mit dem gute Ziele erreicht werden können. Doch auch in der Schöpfung, selbst bei den von Gott ausgewählten Männern und Frauen, gibt es Machtmissbrauch, Ungezügeltes, Gier. Wie kannMacht begrenzt werden? Welche Kontrollinstanzen gibt es dafür? Jesu Bild von Macht zeigt die Umkehrung der Verhältnisse. Seine Perspektive: ZumWohl der Menschen soll sie eingesetzt werden, damit alle in gleicher Weise von ihr profitieren. Aber dann heißt Macht auch Machtbeschränkung, Machtverlust. Das Urbild heißt Dienen. Nur: Dieses Bild widerstrebt dem menschlichen Impuls, Macht für sich allein zu nutzen. Lässt sich lernen, Macht zumWohl derMenschen einzusetzen, oder bleibt das eine Utopie? Was braucht es heute, umMacht zu kanalisieren? Macht rückt neu ins Bewusstsein – jedoch über ihre negativste Seite: denMachtmissbrauch, sexuell wie geistlich, die Frage der Kirche nach Macht, die menschenverachtendeAusübung vonMacht durchkriegstreibendeNationen, die Macht von Menschen über Menschen. Gerade weil diese Seite die Schlagzeilen bestimmt, gilt es, die Realität vonMacht anzuschauen. Es gibt keine Welt ohne Macht. Macht und Machtverhältnisse prägen die Menschheitsgeschichte von Anfang an. Wer Macht hat, kann machen, ist tatkräftig, kann etwas bewirken, trägt Verantwortung, entscheidet. Macht – von ihrer positiven Seite her betrachtet und angewandt – bedeutet Verantwortung für, Fortschritt zu, Fürsorge über. Erst in ihrer Umkehrung bedeutet Macht despotisches Handeln und Tyrannei. Umdieser Fehlentwicklung entgegenzuwirken, bedarf es zweier Bedingungen: Kontrolle und Begrenzung, zeitlich wie inhaltlich. wissen ist macht Inmeiner Schulzeit kursierte dasWortspiel: »Wissen istMacht. Wir wissen nichts. Macht nichts.« Ein Wortspiel, das auf der sprachlichen Ebene etwas miteinander verbindet, was logisch nichts miteinander zu tun hat. Und dennoch drückt es eine Wahrheit aus, die sich zumindest im ersten Satzteil belegen lässt: Wissen ist Macht. Wer Wissen hat, hat damit die Möglichkeit, dieses Wissen anzuwenden und für seine Zwecke zu nutzen. Ohne Machtverhältnisse geht es nicht in dieser Welt und in diesem Leben. Macht ist mehr oder weniger an allen Formen des menschlichen Zusammenlebens beteiligt und bedingt auf unterschiedliche Weise das Entstehen von Sozialstrukturen. Jede Gesellschaft, jede Gruppe, jedwede Institution lebt davon, dass es Menschen gibt, die machen im Sinne von können und zupacken – und in der Konsequenz auch die Verantwortung für die Resultate übernehmen (sollen). »Macht definiert den Umfang der physischen und psychischenHandlungsmöglichkeiten einer Person oder Personengruppe. Die Nutzung dieser Handlungsmacht ist in positivem wie auch negativem Sinne, bezogen auf deren Auswirkungen, möglich. Bei negativen Auswirkungen und unter Voraussetzung einer bewusst möglichen Entscheidung für diese wird von Machtmissbrauch gesprochen.« (Wikipedia, Macht) christliches ideal Bei euch soll es nicht so sein – ist die alternative Ausübung des »Wie«. Nicht Macht an sich wird von Jesus infrage gestellt, sondern wenn Macht nicht zum Wohle anderer eingesetzt oder wenn sie nicht eingegrenzt wird. Die Machtverhältnisse in Palästina zur Zeit Jesu waren klar geordnet. Die politische Macht lag bei den Römern. Die religiöse Macht im Judentum, bei den Schriftgelehrten und Pharisäern, bei den Tempeldienern und beim Hohepriester. Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein. Diener – in unserer Zeit veralltäglicht und immer wieder im kirchlichen Sprachgebrauch als Verweis auf den »letzten Platz« herangezogen ist es ein Begriff, der jedoch nicht eingelöst wird. Von daher gibt es einen Widerwillen, ihn zu hören, weil er nicht stimmt. Weil dienen »dienen« heißt und das bedeutet, sich in den Dienst nehmen zu lassen. Stattdessen wurden die Amtsträger Herren über den Glauben anderer Menschen. Richtiger Umgang mit Macht bedeutet, dass sie nicht Selbstzweck ist, sondern denMitmenschen dient. Personen, die mit Machtbefugnissen ausgestattet sind, müssen gegebenenfalls unpopuläre Entscheidungen treffen, um das langfristige Gedeihen der ihnen Anvertrauten zu gewährleisten. Aber was heißt das? Wer beurteilt dies? Wer kontrolliert dies? Fragen, die immer neu gestellt und beantwortet werden müssen. macht macht 10 franziskaner 3|2022

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=