Franziskaner - Herbst 2022

19 franziskaner 3|2022 Veränderungsbedarf auf vielen Ebenen, dass dies auch durch autoritäreDenk- undVeränderungsverbote nicht aufzuhalten seinwird. Was bereits an Texten und Beschlussvorlagen offen und klar formuliert ist und von deutlichen Mehrheiten auch innerhalb der Gruppe der Bischöfe gefordert wird, hätte ich vor fünf Jahren nicht für möglich gehalten. Und das nimmt uns keiner mehr. Frau Lücking-Michel, Sie sind gemeinsammit Bischof Overbeck Vorsitzende des Forums 1, das die Themen Macht, Gewaltenteilung und Teilhabe am Sendungsauftrag der Kirche bearbeitet. Es gibt aus Ihrem Forumnun ja schon einige Texte, die sich für die deutsche Gesellschaft mittlerweile selbstverständlich, für die katholische Kirche aber fast revolutionär anhören. Welche davon halten Sie für besonders geeignet, um reale Veränderungen in der katholischen Kirche in Deutschland auf den Weg zu bringen? In den vier Foren stehen schon wirklich sehr zentrale Sachen zur Debatte, wobei die Forderung nach Aufhebung des Pflichtzölibats noch mit das Harmloseste ist. Dazu kommen Texte zu sexuellen Identitäten, gleichgeschlechtlichen Beziehungen, der kirchlichen Grundordnung usw. Hier werden Bastionen abgeräumt, die vor Kurzem noch mit Kanonen verteidigt wurden. Den Text des Forums 2 »Frauen in Diensten und Ämtern« finde ich beispielsweise sehr klug, weil er gestaffelte Angebote macht. Ich war in demMoment zufrieden, wo eine Mehrheit keinen Zweifel daran gelassen hat, dass am Ende die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an allen Diensten und Ämtern in der Kirche kommen muss und wir jetzt nur unterschiedlicher Meinung darüber sind, wie viel Zwischenschritte da noch möglich sind und wie die Weltkirche überzeugt werden kann. Das war während meiner gesamten Lebensspanne bisher alles andere als selbstverständlich. In unserem Forum »Macht und Gewaltenteilung« klingen für viele die Texte dagegen naturgemäß eher etwas dröge. Die größte Hebelwirkung, größer als all die einzelnen materiellen Texte, hat für mich die Einrichtung eines ständigen gemeinsamen Synodalen Rates von Bischofskonferenz und Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Wenn dies ernst gemeint umgesetzt wird, dann ist das eine grundlegendeWeichenstellung, die nicht nur für den Synodalen Weg, sondern weit darüber hinaus Wirkung haben wird. Die sehr großeMehrheit – auch in der Teilgruppe der Bischöfe – für die EinsetzungeinesAusschusses, der dieErrichtungeines gemeinsamen Synodalen Rates vorbereiten soll, ist für mich ein sehr hoffnungsvollesZeichen, dass der gemeinsameWeg konstruktivweitergehenwird.Denndann bleiben die Beschlüsse der Synodalversammlung am Ende des Synodalen Weges imnächstenFrühjahr nicht nur letztlichunverbindlicheEmpfehlungen.Dann gibt es ein auf Dauer eingerichtetes leitendes Gremiumaus Bischöfen und Laien, das ihre Umsetzung überprüft und einfordert. Texte undDiskussionen in den Foren und der Synodalversammlung zielen ja auf eine – biblisch begründete – grundlegende DemokratisierungundTeilhabe allerGetauften. Die vorliegenden Dr. Claudia Lücking-Michel, hier im Interview mit dem ZDF während der vierten Synodalversammlung, ist Geschäftsführerin des Fachdienstes der deutschen Katholiken für internationale Zusammenarbeit Agiamondo e. V. Die Theologin und Historikerin ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. Sie war Bundestagsabgeordnete (2013–2017) und von 2005 bis 2021 ehrenamtlich Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. © maximilian von lachner – synodaler weg Strukturveränderungen orientieren sich an der Rechtsordnung und Gewaltenteilung einer parlamentarischen Demokratie. Nun ist ja nicht nur die derzeitige hierarchische und klerikal bestimmte Verfasstheit der Kirche damit wenig kompatibel. Auch die demokratische Legitimation des ZdK und der diözesanen und pfarrlichen synodalen Gremien sowie die praktische Partizipation der Gläubigen sind sicher noch ausbaufähig.Müsste nicht nur die Amtskirche, sondern auch der deutsche Laienkatholizismus die Vertretung und reale Teilhabe der Katholik:innennochdeutlich ausbauenund intensivieren, damit wirkliche Teilhabe aller Getauften am Sendungsauftrag der Kirche auch praktische Realität werden kann? Im ZdK und in den diözesanen synodalen Gremien erlebe ich gerade intensiveDebatten zuFragen vondemokratischer Legitimation und Partizipation die – und auch in Bezug auf einen einzurichtenden gemeinsamen Synodalen Rat. Wie soll er zusammengesetzt werden? Wie ist wer legitimiert? Welche Entscheidungskompetenzen muss er haben – und einiges mehr. Für das ZdK möchte ich aber auch eine Lanze brechen. Dies gilt für seine Zusammensetzung wie dafür, wie die Mitglieder gewählt werden und wer sich beteiligen kann. Das ist schon mal nicht schlecht. Ich will nicht sagen icht verbesserungsfähig, aber jedenfalls international einmalig, was die Repräsentation und Legitimation der Laien in der katholischen Kirche angeht. Das gilt auch für die synodalen Strukturen in den Diözesen und auf Pfarreiebene. Wobei wir hier die Situation haben, dass diese in den verschiedenenDiözese nicht nur jeweils anders »Wir stehen an einem Kipppunkt«

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