Franziskaner - Herbst 2022

25 franziskaner 3|2022 Geistlicher Wegbegleiter – November 2022 © sasun bughdaryan – stock.adobe.com Jesus begegnet dem Besessenen von Gerasa Markus 5,1–20 Was mir entgegenkommt Am Schluss ist es gar nicht mehr die Besessenheit des Mannes. Am Schluss ist es das Aushalten-Können einer veränderten Situation: Der Besessene ist nicht mehr der Besessene. Er ist befreit. Er ist wieder er selbst. Das macht Menschen Angst, und sie bitten Jesus, den Ort zu verlassen. Mich lässt diese Erzählung aufatmen. Wieder ICH sein können und dürfen, ohne dass irgendetwas in irgendeiner Weise Besitz von mir ergreift: mit unerhörter innerer Freiheit leben, von allen Kräften der Selbstzerstörung und Verwundung geheilt, aus Zerrissenheit zu neuer Identität findend. Sie kamen an das andere Ufer des Sees, in das Gebiet von Gerasa. Als Jesus aus dem Boot stieg, lief ihm sogleich von den Gräbern her ein Mensch entgegen, der von einem unreinen Geist besessen war. Er hauste in den Grabstätten. Nicht einmal mit einer Kette konnte man ihn bändigen. Jesus fragte ihn: Wie heißt du? Er antwortete: Mein Name ist Legion; denn wir sind viele.(…) Da baten ihn die Dämonen: Schick uns in die Schweine! Jesus erlaubte es ihnen. Darauf verließen die unreinen Geister den Menschen und fuhren in die Schweine und die Herde stürmte den Abhang hinab in den See. Es waren etwa zweitausend Tiere und alle ertranken. Die Situation Er war einer, der gemieden wurde: Ein Sonderling, ein Besessener, ein Unreiner, ein Gefährlicher – einer aus den Grabhöhlen. Mit ihm konnte keiner umgehen, Fesseln konnten ihn nicht halten; unbändige Kräfte, die in ihm tobten. In der konkreten Begegnung mit Jesus begehrt er auf: Was willst du von mir? Lass mich in Ruhe! Er selbst bezeichnet sich als Legion. Und die Dämonen baten Jesus: Lass uns in die Schweine fahren. Als die Dämonen in die Schweine fuhren, stürzte die Herde den Steilhang hinab in den See, und alle Schweine ertranken. Der Mann war geheilt. Er saß ordentlich gekleidet da, doch die Menschen in der Umgebung baten Jesus, er möge das Gebiet verlassen. Diese Heilung war zu viel für sie, sie machte ihnen Angst. Besessen Besessen, so schrieb mir ein guter Bekannter, »besessen ist ein Stuhl. Er will sein, was er ist. Muss Druck aushalten, kann auf zwei Beinen nicht stehen. Kann nicht selbst bestimmen, wer oder was von ihm Besitz ergreift, besessen von Unerwünschtem.« So stelle ich mir diese Krankheit vor: Irgendeine Kraft ergreift von Menschen Besitz, die sich jeglicher Kontrolle und Mitbestimmung entzieht – schwer auszuhalten, gefährlich. Besessen sind aber nicht nur Menschen. In dieser Perikope steckt auch eine politische Aussage. »Besessen« war das Land Israel durch die Römer. Die Besatzungsmacht treibt Menschen in die Abhängigkeit und ins Elend, sie raubt Menschen und Völkern ihre Identität. In der Begegnung mit Jesus – so die Erzählung – werden die Menschen wieder frei und finden zu sich selbst. Verlierer sind die armen Schweine. Sie haben nichts mit Politik zu tun und müssen dennoch dafür büßen. Oft gefragt, was das Ende der Geschichte zu bedeuten hat, lässt sich geschichtlich belegen, dass das Feldzeichen der »Legion« ein Eber war – ein männliches Schwein! Und Schweine galten im Judentum als unreine Tiere.

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