Franziskaner - Herbst 2022

franziskaner 3|2022 30 Franciscans International (FI) ist eine Organisation der weltweiten »Franziskanischen Familie« und hat einen allgemeinen Beraterstatus bei den Vereinten Nationen. Die Nichtregierungsorganisation unterhält Büros in Genf und New York und hat Zugang zu allen wichtigen UN-Gremien. Als Anwältin für Menschenrechte bringt FI Anträge ein und unterstützt Angehörige benachteiligter Gruppen, ihre Anliegen direkt vor den zuständigen UN-Gremien zu vertreten. Eine Stimme aus Myanmar bei der UN Den folgenden Bericht verfasste einer jener Menschen, die mit der Unterstützung von FI als Berichterstattende vor der UN sprachen. Durch solche Zeugnisse kommen die Sorgen und Nöte derjenigen zu Gehör, die sonst nicht zu Wort kommen. Wir wahren die Anonymität der berichtenden Person, um sie selbst und Angehörige vor der Verfolgung durch die Militärdiktatur Myanmars zu schützen. Ich komme aus einem kriegsgebeutelten Land und bin froh, in den Nachrichten zu lesen, dass Regierungen auf der ganzen Welt Russlands Krieg gegen die Ukraine scharf verurteilt haben. Die westlichen Staaten haben schwerste Sanktionen verhängt, um Moskau wirtschaftlich zu lähmen, weltweit zu isolieren und so zum Einlenken zu bewegen. Ich weiß, dass Solidarität die wichtigste Maßnahme ist, um den Schwächsten zu helfen, wenn sie schikaniert werden. Ich wünsche mir sehr, dass die gleiche Solidarität für Myanmar gezeigt wird und die Dringlichkeit der Lage wahrgenommen wird. Ich hoffe, dass die Bilder der Vertreibung und der Geflüchteten in Myanmar sowie des zivilenWiderstands in derWeltöffentlichkeit ebenfalls Aufmerksamkeit erfahren. Der politische Hintergrund Seit der Machtergreifung von General Ne Win im Jahr 1962 ist die Militärdiktatur tief in den sozioökonomischen Strukturen Myanmars verwurzelt. Die Kontrolle wird aufrechterhalten durch eine strikte Zensur, die Einschränkung der Persönlichkeitsrechte und die Unterdrückung ethnischer Minderheiten. Der Widerstand der großenMehrheit der Bevölkerung ist ein Kampf umWerte: Achtung der Menschenwürde, Achtung der Selbstbestimmung und Achtung der kulturellen Würde. Die Verfassung eines Landes sollte der Garant für Frieden und Wohlstand sein. In Myanmar hat die Verfassung, die 2008 in Kraft trat, die gegenteilige Funktion. Das Militär hat seine Macht durch die Ausarbeitung der neuen Verfassung gefestigt, die Macht des Volkes und seine politische Beteiligung sind hingegen streng begrenzt. Das Verteidigungs- und das Innenministerium bleiben trotz einer gewählten Regierung stets in der Hand der Generäle, ebenso der Grenzschutz. Und nicht der gewählte Präsident ist Oberbefehlshaber der Armee, vielmehr ist diese Position beimMilitär angesiedelt, das den Präsidenten in Zeiten des nationalen Notstands jederzeit ablösen kann. Die Verfassung räumt dem militärischen Oberbefehlshaber zudem weitreichende Befugnisse ein, um einen Notstand auszurufen. Außerdemsind automatisch 25 Prozent der Sitze imParlament für nichtgewähltemilitärische Abgeordnete vorgesehen. Sie werden vomOberbefehlshaber ernannt. Wichtigster Hüter der Verfassung ist das Militär, das so die Macht hat, alles nach eigenem Ermessen auszulegen. »Die Frühlingsrevolution« Bei den Parlamentswahlen am 8. November 2020 hatte die Nationale Liga für Demokratie (NLD) fast alle zu gewinnenden Sitze imParlament erhalten. Dies nährte die Hoffnung auf eine Verfassungsänderung. Die Militärjunta erkannte die Gefahr, die eine 2/3-Mehrheit der Abgeordneten der NLD imParlament ab dem 1. Februar 2021 hätten bedeuten können. Sie annullierten sofort die Wahlergebnisse von2020undbehaupteten, es habe große Wahlfälschungen gegeben. Am selben Tag verhaftete das Militär den Präsidenten U Win Myint und die Defacto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi sowie fast alle gewählten Abgeordneten des Landes. Den Bürger:innen Myanmars war gleich klar, dass die Anschuldigungen wegen Wahlbetrugs nur vorgeschoben waren, um den Weg für einen erneuten Militärputsch frei zu machen. Sie begannen umgehend einen landesweiten Aufstand gegen die Junta. Das Militärregime ging mit Nulltoleranz gegen alle vor, die sich nicht an die Anordnungen hielten, was zu einer Revolution imganzen Land geführt

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=