Franziskaner - Herbst 2022

34 franziskaner 3|2022 Angst vor Inflation – Seit der Hyperinflation in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts haben die Menschen in Deutschland in besonderer Weise Angst vor einer Inflation, die alles Ersparte vernichtet. Jetzt, wo die Inflationsrate getrieben von den Energiepreisen wieder deutlich gestiegen ist, kehrt das Inflationstrauma besonders bei den Älteren zurück. Ist diese besondere Angst vor Inflation in Deutschland sachlich berechtigt? Helfen eigentlich die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank gegen diese Art der Inflation, die wir gerade erleben? Was könnte wirtschaftspolitisch geschehen, um diejenigen zu schützen, die massiv unter den Preissteigerungen leiden? Hierüber sprach unser Redakteur Thomas Meinhardt mit dem Volkswirtschaftler Professor Ulrich Klüh Anfang September in Frankfurt. Professor Klüh, inwieweit ist die besondere Inflationsangst vieler Deutscher heute gerechtfertigt? Zunächst einmal: Dieses Trauma ist auch gut gepflegt worden. Hierzulande liest und hört man immer wieder, die Inflation schade vor allem den ärmeren Menschen. Dabei leiden darunter zunächst einmal vor allem die Menschen, die Geld zu einem festen Zinssatz angelegt haben, und die sind selten arm. Für ärmere Menschen kann man die Folgen der Inflation hingegen ganz gut abmildern, indem man ihre Einkünfte entsprechend anpasst. Viele Studien kommen deshalb auch zu dem Ergebnis, dass man auch mit Inflationsraten deutlich über 2 Prozent eine funktionsfähige Wirtschaft und Gesellschaft haben kann. Es kommt deshalb ganz darauf an, wie mit der Inflation umgegangen wird. Man kann mit Inflation in einer Art und Weise umgehen, die tatsächlich gerade die Bedürftigen trifft. Oder man kann mit Inflation in einer Art und Weise umgehen, die die Bedürftigen weitgehend schützt. Letzteres ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten immer weniger geschehen. Nun haben wir derzeit eine relativ hohe Inflationsrate, in Deutschland, der EU, den USA und zahlreichen weiteren Ländern, und es scheint unklar, ob sie eventuell noch weiter ansteigt. Welche sind aus Ihrer Sicht die Haupttreiber dieser Inflation, und welche Faktoren spielen eine Rolle? Das Hauptproblem ist, dass es unterschiedliche Treiber gibt. Der Auslöser der gegenwärtigen Inflation ist ursprünglich die Corona-Pandemie. Die Menschen konnten für eine Zeit lang kaum Geld ausgeben, haben dieses Geld auf dem Girokonto gesammelt. Als es dann wieder möglich war, Geld auszugeben, haben sie auch viel Geld ausgegeben. Dummerweise war dies genau in einer Situation, wo die Lieferketten und die Produktion noch nicht wieder in Gang gekommen waren, also weniger Waren zur Verfügung standen. Das trieb die Preise und war eigentlich der Ursprungsimpuls für die Inflation. Dieser Ursprungsimpuls wurde verstärkt durch Maßnahmen, die eigentlich sehr wichtig und richtig sind: nämlich Maßnahmen, die man mit Klimapolitik überschreiben kann. So wurde ein CO2-Preis eingeführt, um das Klima zu schützen. Zusätzlich zu der »Corona-Inflation« kam somit etwas, was vielleicht als »Klima-Inflation« bezeichnet werden kann. Ein dritter Effekt machte sich zunächst an den Finanzmärkten bemerkbar, auf denen viele Rohstoffe gehandelt werden: Die Nachfrage nach Rohstoffen war größer als das verfügbare Angebot. Und das war die Ausgangslage als der Krieg gegen die Ukraine begann, dessen Auswirkungen auf die Energiepreise im Moment den Hauptfaktor für die stark steigenden Preise darstellen. Welche Rolle spielt die Unterbrechung von Lieferketten aufgrund der strikten chinesischen Null-­ Covid-Politik, die immer wieder in bestimmten Regionen zu völligemwirtschaftlichen Stillstand führt. Das Problembesteht darin, dass es immer wieder kurzfristig und unvorhersehbar zu solchen Unterbrechungen kommt. Man hofft, jetzt funktionieren bestimmte Lieferketten wieder, und dann greift die chinesische Regierung wieder zu sehr drastischen Maßnahmen, die das gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben stilllegen. Das betrifft oft nur eine Stadt. Aber diese Stadt ist dann so groß wie in Deutschland ein Bundesland. Dadurch ergibt sich immer wieder eine Verknappung wichtiger Zulieferteile, und das führt dann zur Reduktion der Produktion Interview und Bearbeitung Thomas Meinhardt Die Energiepreise und nicht ein überhitzter Markt treiben die Inflation

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=