Franziskaner - Winter 2022

10 franziskaner 4|2022 OFM = Ohne Feste M Die Franziskaner und das Wohnen »Ein Kloster? Ich habe in unseremOrden noch nie ein Kloster gesehen!« So antwortet einer der ersten Franziskaner, die in Erfurt zunächst improvisiert vor den Stadtmauern lebten. Pfarrer Heinrich und einige Bürger wollten den Brüdern nach sechs Jahren ein Kloster bauen. Der Chronist hört den Bruder raten: »›Ich weiß nicht, was ein Kloster ist; baut uns einfach ein Haus am Wasser, damit wir zum Füßewaschen dorthin hinabsteigen können.‹ Und so wurde es getan.« (Franziskus Quellen/FQ 995–996) Die Ankunft der Brüder in Thüringen fällt in die Lebenszeit der Landgräfin Elisabeth. Vielerorts leben die Brüder in den ersten Jahren bei einer Hospitalkirche und verorten sich vor den Stadtmauern unter den Randständigen. Erfurts Klerus und Bürgerschaft wollen ihnen im Jahr 1231 zu einer eigenen Infrastruktur verhelfen. Tatsächlich entsteht bald ein städtischer Konvent mit eigener Kirche, Kreuzgang, Refektorium (Speisesaal), Dormitorium (Schlafsaal), Zellen für die Prediger und einer Bibliothek. Das schnelleWachstumder Gemeinschaft erfordert nach wenigen Jahrzehnten die Vergrößerung des Klosters. Wer die imposante Kirche heute besucht, von der seit dem ZweitenWeltkrieg nur noch Chor und Außenmauern stehen, erkennt das architektonische Vorbild: Zwei Steinwürfe entfernt befindet sich auf der anderen Flussseite der Dominikanerkonvent, in dem der große Mystiker Meister Eckhart wirkte. Die gotische Predigerkirche ist das schönste Gotteshaus in Erfurts Altstadt. Was hier geschah, ereignete sich ab 1230 in ganz Europa: Das rasche Sesshaftwerden und die Verklösterlichung der Franziskaner war eine Antwort auf den Ruf der aufblühenden Städte, und der boomende Orden ließ sich dabei vom Vorbild der Dominikaner leiten. Um 1300 spannte sich ein dichtes Netz von Klöstern vom Atlantik bis auf den Balkan und von Schottland bis Sizilien. Die Stadtkonvente beherbergten Dutzende von Brüdern und dehnten ihren Aktionsradius so aus, dass sich in vielen Gebieten eine flächendeckendeWanderpastoral etablierte. Damit unterschieden sich die Franziskaner vom Predigerorden, der weit weniger Brüder zählte und sich auf die wichtigen Zentren konzentrierte. Gemeinsam hoben sich die Bettelorden von den Mönchsabteien ab, die mit ihrer »stabilitas loci« (dauerhafteOrtsgebundenheit) oft weltabgeschieden inmonastischen Alternativwelten lebten. Gründete Franziskus eine Bruderschaft, die »durch die Welt wanderte«, den Lebensunterhalt mit Handarbeit verdiente und sich zu kontemplativen Intensivzeiten für Wochen in stille Eremitagen zurückzog, so wurden seine Brüder ab 1231 schnell zu einem städtischen Zwillingsorden der Prediger: Wie die Dominikaner ließen sie sich fortan als Bettelorden für ihre pastoralen, sozialen und kulturellen Dienstleistungen von der Gesellschaft mit dem Lebensnotwendigen versorgen, das sie sich regelmäßig vonHaus zu Haus erbaten. Dieser frühe und rasanteWandel blieb nicht unwidersprochen. Gegen 1250 eskalierte an der Universität Paris der Armutsstreit zwischen den neuen Bettelorden und denMagistern, die dem Weltklerus angehörten und sich zu Sprechern der Bischöfe machten. Vereint suchten diese die neuen städtischen Orden aus der Seelsorge, Lehre, Inquisition und Diplomatie zu verdrängen, in denen sie zu Stützen einer urbanen kirchlichen Kultur und des päpstlichen Universalismus geworden waren. Innerhalb des Franziskanerordens distanzierten sich »Zelanti« (Eiferer) von den städtischen Konventen und sammelten sich in den alten Eremitagen der umbrischen Bergwälder. Ein Ein Zuhause auf Zeit Der Weg zurück vom Leben auf der Straße in eine Existenz mit Arbeitsstelle und eigener Wohnung ist oft schwer. Im Priesterseminar Borromaeum in Münster sind in Zusammenarbeit mit der Bischof-Hermann-Stiftung seit 2019 vier Zimmer eingerichtet worden, die Obdachlosen mit einem festen Arbeitsplatz ein Zuhause auf Zeit bieten. Es ist wichtig, nach der Arbeit Ruhe zu finden, was in anderen Einrichtungen mit Mehrbettzimmern schwer möglich ist. So entschied sich das Borromaeum, vier Obdachlosen die Zimmer für eineinhalb Jahre zur Verfügung zu stellen. Sie teilen sich eine Küche, ein Bad und ein Wohnzimmer. In diesem Zeitraumwird versucht, für sie eine eigene Wohnung zu finden, sodass ein Platz für andere Wohnungslose frei wird. »… und hat unter uns gewohnt« grafik © archjoe freepik.com

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