Franziskaner - Winter 2022

12 franziskaner 4|2022 Wie wollen wir künftig wohnen? Im Jahr 2021 lebten fast 78 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands in Städten. Wer über das Wohnen spricht, hat daher in der Regel ein städtisches Wohnumfeld vor Augen. Wahrscheinlich wird es in der Regel die autogerechte Stadt sein, wie sie sich in der Nachkriegszeit entwickelte. Außerdem wird es in der Regel eine Stadt sein, die dem Konzept der Trennung in Bereiche zum Wohnen, Arbeiten, Erholen und Fortbewegen folgt, wie es dem städtebaulichen Paradigma des letzten Jahrhunderts entspricht. Doch dieses Bild ist lediglich Ausdruck unserer konkreten Erfahrung. Wie Städte angelegt sind undwie sie sich entwickeln, ist keineswegs »gottgegeben«, Ausdruck einer höheren Rationalität oder gar zwangsläufig. Die Art, wie wohnen und leben vonstattengeht, ist immer auch Ausdruck der Prioritäten, Machtverhältnisse und Glaubenssätze der jeweiligen Epoche. Das wird deutlich, wenn der autogerechten Stadt eine Stadt ohne Straßen gegenübergestellt wird. Für uns unvorstellbar, aber archäologische Grabungen belegen ganz unterschiedliche antikeWohnformen, darunter eben auch Städte, die keine Straßen kannten. Wie der Transport vonWaren, Abfällen etc. in einer Stadt, in der die Häuser aneinandergebaut waren, möglich war und ob es immer problemlos war, dass sich die Menschen ihre Wege durch die Wohnstätten der Nachbarn bahnenmussten, wissenwir nicht. Ebenso wenig ist bekannt, ob sich die dort Lebenden wohlfühlten. Wahrscheinlich kannten sie nichts anderes und stellten es daher nicht infrage. Ebenso wie bei uns bis vor Kurzem der Vorrang des Autos bei der Planung unserer Städte unhinterfragt war. Heute entwickelt sich langsam ein Bewusstsein dafür, dass Menschen auch Gestaltende ihres Wohnumfeldes sein könnten. Für viele erschöpft sich ihre kreative Energie zwar auch heute noch eher in der Dekoration des eigenen Wohnraums, aber es ist eine Reihe an Aufbrüchen zu verzeichnen. Die Stadt ist die Wohnform der Zukunft 2050, so prognostizieren die Vereinten Nationen, werden fast 70 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Räumen leben. In den westlichen Ländern ist der Drang in die Städte deutlich weniger stark als im Weltmaßstab. Das kann angesichts des bei uns bereits erreichten Grades der Urbanisierung nicht wirklich verwundern. Es gibt darüber hinaus sogar Spekula- Kerstin Meinhardt Leben auf der Straße 37.400 Menschen leben in Deutschland auf der Straße. Allerdings werden viele verdeckt Wohnungslose nicht erfasst, darunter vor allem Frauen. In den Großstädten ist der Anteil der »Brüder und Schwestern auf der Straße« deutlich höher als im Landesdurchschnitt. In Berlin bietet die Suppenküche im Franziskanerkloster Pankow seit der Nachwendezeit wohnungslosen und armen Mitmenschen ein Mittagessen. Täglich kommen bis zu 400 Gäste. Neben der Versorgung mit einer Mahlzeit ist die Suppenküche aber vor allemein Treffpunkt und ein Stück Heimat. Darüber hinaus ermöglicht die Hygienestation die Aufrechterhaltung einer menschenwürdigen Grundhygiene, und die Kleiderkammer hält etwas Sauberes und Warmes zum Anziehen bereit. Die zum Team der Mitarbeitenden gehörende Sozialarbeiterin Petra Rothe vermittelt zwischen Menschen und Behörden. Sie unterstützt die Hilfesuchenden beispielsweise bei der Wohnungssuche und auch wenn Wohnungskündigung oder -räumung droht. 33 www.suppe.franziskaner.net Dhaka in Bangladesch war im Juli 2022 mit 30.093 Menschen pro Quadratkilometer die Stadt mit der höchsten Bevölkerungsdichte weltweit »… und hat unter uns gewohnt« grafik © archjoe freepik.com | © md rafayat haque khan/eyeem – stock.adobe.com

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