Franziskaner - Winter 2022

14 franziskaner 4|2022 »One fits all« gilt nicht für die Stadtentwicklung Diewichtigste Erkenntnis auf demGebiet der Stadtentwicklung ist wohl, dass es keinModell gibt, das für alle passt. Es geht um individuelle Entwicklungen – jeweils mit möglichst viel Bürgerbeteiligung – sowohl in Kleinstädten wie auch in den einzelnen Quartieren der Großstädte. Gleichwohl werden in den Prozessen mit Bürgerbeteiligung immer wieder ähnliche Bedingungen benannt, wie zukünftige Städte aussehen müssten, umdendort lebendenMenschenund ihrenBedürfnissengerecht zu werden. Die Stadt der Zukunft zeichnet sich demnach aus durch eine guteDurchmischung der Bevölkerung, umweltschonendeMobilität, Nutzung erneuerbarer Energien sowie klimafreundliche und bodenschonende Bauweisen. Besonders häufig wird derWunsch nach gutemLärmschutz, sauberer und schadstofffreier Luft, nach effizienten und preiswerten Netzen öffentlicher Verkehrsmittel sowie nach sicheren Fuß- und Radwegenetzen genannt. Auch die Idee des Teilens statt Besitzens und mehr Grün- und Wasserflächen, viel Platz für ein gutes Miteinander, Bewegung oder kreatives Spielen und natürlich kurzeWege in der Stadt spielen dabei stets eine wichtige Rolle. Wie die Lösungen aussehen werden, wird vor Ort so unterschiedlich sein wie die dort lebenden Menschen. Für die kurzenWege würde zumBeispiel die Rückkehr des Handwerks und Gewerbes aus den Außenbezirken in die Städte sorgen. Menschen machen Städte lebendig, nicht Läden Die ersten erfolgreichen Versuche, wieder Leben in die Stadt zu bringen, sind zumBeispiel in der 90.000-Einwohner-Stadt Lünen im Ruhrgebiet zu bestaunen. Dort wurde Schluß gemacht mit immer mehr und immer größerem Shopping. Das frühere Hertie-Kaufhaus, das zur ungenutzten Ruine verkommen war, wurde unter der Regie der Stadt von einer Wohnungsbaugenossenschaft übernommen und völlig entkernt. Entstanden ist ein modernes Gebäude mit Gewerbeflächen imErdgeschoss, Arztpraxen und 24 barrierefreieWohnungen in denObergeschossen. EinigeWohnungen haben sogar einen Garten, denn die oberen Geschosse wurden teilweise herausgeschnitten. Auf demDach der mittlerweile in die Innenstadt zurückgekehrtenMetzgerei wachsen nun Büsche und Bäume. Das alles hat sich überaus positiv auf die nun ebenfalls belebtere Umgebung der Lüner Innenstadt ausgewirkt. Ein schönes Beispiel, doch wie es sich übertragen lässt, bleibt abzuwarten. Gebäude umzuwidmen ist zwar technisch kein Problem, ökonomisch hingegen schon. Die Mieten, die die großenHandelshäuser zahlten, sind allzuweit vonWohnungsmieten entfernt. Selbst in Städten mittlerer Größe werden in Toplagenmonatlich bis zu 100Euro proQuadratmeter verlangt. Neben mutigen Ideen in Sachen Nutzungsmix und mehr Wohnungen in der Stadt braucht es daher sicher auch politische Prioritätensetzungen. Daneben steht auf der Agenda der Stadtplanung vor allemdas Entwicklen von Konzepten, die Antworten auf die schon heute spürbaren Folgen der klimatischen Veränderungen geben. Beton und Asphalt verwandeln sich im Sommer zu Hitzespeichern, und die zunehmend heftigeren Regenfälle bringen die Abwassersysteme an ihre Grenzen. Die Fachleute im Bereich der Stadtentwicklung hoffen mit smarten Lösungen die Probleme zu meistern. Fassadenbegrünung, Entsiegelung, Schwammstadt sind da nur einige der Schlagwörter. Technische Lösungen, die durch die zunehmende Digitalisierung geschaffenwerden, sollen auch einenumweltfreundlichen Mobilitätsmix ermöglichen, den sich alle leisten können. Städte waren schon immer ein Ort, an dem sich Neues entwickelte. Das gilt nicht nur für technische Errungenschaften; Städte waren immer auch Orte des Experimentierens mit neuen sozialen Formen des Zusammenlebens. Hinter dem immer wieder in Befragungen genannten »Mehr Raum zum Leben« stehen daher auch eine Vielzahl an Ideen, wie ein gutes Miteinander aussehen kann, und unterschiedliche Vorstellungen gemeinschaftlicherWohnprojekte. ImIdeenpool sind Mehrgenerationenhäuser oder auch Siedlungen ohne Auto, dafür mit gemeinschaftlicher Gemüseproduktion und vieles mehr. Das Experimentierfeld ist groß, das Bedürfnis nach mehr Gemeinschaft und Begegnungsräumen ebenso. Wie sich die Zielvorstellungen »Weniger Verkehr, weniger Autos und weniger Belastungen für Gesundheit und Klima« und »Mehr Grün, mehr Kompaktheit und mehr Raum zum Leben« in den jeweiligen Städten und Quartieren realisieren lassen werden und wie das eine immer älter werdende Gesellschaft verändernwird, bleibt spannend. Gut, dass in den letzten Jahren das Bewusstsein gewachsen ist, dass die Betroffenen ihr Umfeld und die Stadt für morgen selbst gestalten können! Das kernsanierte ehemalige Hertie-Kaufhaus in Lünen bietet seit 2019 neben Gewerbeflächen 24 barrierefreie Wohnung © hans blossey – picture-alliance.com

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