Franziskaner - Winter 2022

22 franziskaner 4|2022 Geistlicher Wegbegleiter – Januar 2023 Da brachte man Kinder zu ihm, damit er sie berühre. Die Jünger aber wiesen die Leute zurecht. Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn solchen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie. Die Situation Eine anrührende Geste: Jesus segnet Kinder. Den Kleinen, den Schwachen, denen, die sonst nicht imMittelpunkt stehen, wendet er sich aufmerksam zu. Es sind nur wenige Begegnungen im Neuen Testament, in denen der Kontakt Jesu zu Kindern beschrieben wird. Zu 97 Prozent sind es Erwachsenengeschichten. Und so als gehört es sich nicht, Kinder in die Nähe von Jesus zu bringen, weisen die Jünger sie zurück. Es mutet merkwürdig an, dass ausgerechnet die Jünger nicht sehen, wem Jesu Botschaft und Segen gilt. Die Geste, Kinder zu berühren, wird heute mit Argwohn betrachtet. Es ist keine unschuldige Geste mehr. Die Missbrauchsfälle in Kirche und Gesellschaft, die unermessliches Leid an Seele und Leib hinterlassen haben, zeigen ihre Auswirkungen. Kinder auf den Arm nehmen oder auf den Schoß, Kindern die Hand auf den Kopf legen – das kann keiner mehr unbefangen tun, ohne dass die Alarmglocken schrillen. In welch eine Situation haben wir uns gebracht? Kinder und das Reich Gottes Zweimal kommt in diesem kurzen Evangelium ein Ausdruck vor, der deutlich macht, umwas es in dieser Textstelle geht: um das »Reich Gottes«. Dieses Reich Gottes, das mit Jesus angebrochen ist, ist zu unterscheiden von den Reichen und Herrschaften dieser Welt. Es ist die Liebe, nicht der Hass. Es ist das Verbindende, nicht die Konkurrenz. Es ist die gegenseitige Hochachtung, nicht das Bedürfnis nach Macht, wodurch sich unterscheidet, ob Gott regiert oder einMensch. Als Christ:innen rechnen wir mit der Wirklichkeit des Gottesreiches. Und genau dort, wo Menschen Gott wirken lassen, dort beginnt dieses Reich jetzt schon wirksam zu werden. In dieses Reich will Jesus die Kinder mit hineinnehmen wie auch die Erwachsenen, die das Reich Gottes so annehmen können wie die Kinder. Was mir entgegenkommt Die Jünger rechnen nicht mit Kindern, weil diese noch nicht ernst zu nehmen sind. Den Maßstab Jesu scheinen sie noch nicht übernommen zu haben. Für Jesus jedoch haben Kinder einen Platz im Reich Gottes – gerade dort, wo sie nichts leisten können. Indem Jesus den Kindern seine Hände auflegt, zeigt er uns, Respekt zu haben vor den Kindern. Mit diesen Worten ist ein Grundsatz aus der Pädagogik Janusz Korczaks (1879–1942) benannt: Lasst uns Achtung vor den Kindern haben! In seinemWerk »Wie man ein Kind lieben soll« (1919) formulierte er grundlegende Rechte für Kinder, die er in einer weiteren Schrift aus dem Jahr 1929 zusammenfasst: das Recht des Kindes auf Achtung. Wenn Jesus die Kinder segnet, ist das ein heilsames Zeichen – geprägt von der ehrwürdigen Achtsamkeit vor dem einzelnen Leben. Von solch heilendem und bestärkendem Umgang mit Kindern wünsche ich mir wieder mehr: Gesten, spontan, behutsam. Die Botschaft: Zwischen dir und mir geht es liebevoll zu. Liebevoll heißt: Ich achte dich in deiner Einmaligkeit, ich respektiere deine Grenzen, ich lasse dir ein gutes Wort zukommen. Segen eben. Ein Auftrag für unsere Zeit! © kristin gründler – stock.adobe.com Jesus segnet die Kinder Markus 20,13–16

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