Franziskaner - Winter 2022

27 franziskaner 4|2022 Ankommen Im positiven Sinne schnell, spontan, aufgedreht und direkt. So würde ich Gabriel Zörnig nach diesen zwei intensiven Tagen beschreiben. Der Bruder erreicht Menschen dann besonders gut, wenn er in Bewegung ist. Vielleicht ist das ein Grund, warum er sich als Seelsorger nie an einen Ort wirklich binden konnte. Die Arbeit in Fulda, mit Antonius, der Stiftung für Menschen mit Behinderungen, und auch die Leitung einer Pfarrei in Halle sei zwar erfüllend gewesen, doch etwas habe ihm immer gefehlt, konstatiert Bruder Gabriel im Rückblick. Schlussendlich nahm er sich eine Auszeit bei den Benediktinern in Franken. Die Idee, zurück zu den franziskanischenWurzeln zu gehen, sei ihm schon immer wichtig gewesen, nun aber sei sie konkret geworden. Während seiner Auszeit habe er vier Vorschläge erarbeitet, mit denen er den damaligen Provinzial, Cornelius Bohl OFM, aufsuchte. »Alle Häuser der deutschen Provinzen besuchen« und die Arbeit der Mitbrüder erleben, die franziskanischen Quellen in Jerusalemund Assisi aufsuchen, also »ad fontes«, franziskanische Gruppen oder Gemeinschaften begleiten oder »itener« (unterwegs sein, reisen). Der letzte Vorschlag kam beim Provinzial gut an. Bruder Gabriel sollte ein konkretes Konzept für ein Projekt »franziskanisch unTerwegs« ausarbeiten: mit einem Wohnmobil Mecklenburg-Vorpommern zu bereisen, in verschiedenen Orten Halt zu machen und mit Menschen auf der Straße, bei Veranstaltungen und kirchlichen Aktivitäten ins Gespräch zu kommen. Nachdem die Provinzleitung überzeugt war, kam die zweite Hürde: Das Erzbistum Hamburg musste sein Projekt ebenfalls bewilligen. Aber auch die Verantwortlichen dort konnte er überzeugen, dass ein solches Projekt gerade in einer Region, in der wenige Christ:innen leben und Katholik:innen eine ganz kleine Minderheit sind, ein sinnvoller und der Situation angemessener Versuch sein könnte. Bruder Gabriels größtes »Verkaufsargument« ist nach wie vor: »Wenn die Menschen nicht mehr in die Kirche kommen, muss die Kirche zu den Menschen kommen.« So begann am Pfingstsonntag im Jahr 2021 seine Reise ins Ungewisse. Und gerade mit dieser Ungewissheit und den ständigen Ortswechseln wirkt der Franziskaner auf mich so, als sei er genau jetzt angekommen. Das rollende Kloster Das alte Wohnmobil hat sichtbar schon viel erlebt. Es steht bei meiner Ankunft vor dem Pfarrhaus in Neustrelitz – ein zentraler Ort in der kleinen Stadt, an dem täglich viele Menschen vorbeikommen. Außen ist es mit Fahnen, Bannern und Blumen dekoriert. Im Innenraum ist alles vorhanden, was für das tägliche Leben benötigt wird, aber auch nicht wirklich mehr. Es ist Rückzugsort, Küche, Speisesaal, Gebets- und Gesprächsraum sowie Taxi und Hotel in einem. Das Licht funktioniert nur manchmal, und die Standheizung ist gerade defekt. »Ich hoffe, du frierst nicht so schnell«, sagt Bruder Gabriel beim Betreten seiner kleinen Behausung. Es ist gemütlich, und ein bisschen Urlaubsatmosphäre schwingt mit, wenn wir uns auf den kleinen Bänken gegenübersitzen. Der stolze Besitzer erklärt mir, dass er theoretisch die Möglichkeit habe, für ein paar Tage autark zu sein, es aber zu schätzen wisse, wenn er, wie hier, die Küche undWaschräume des Pfarrhauses nutzen könne. Schnell wird klar, welche Bedeutung der Ford Charisma von 1993 für ihn hat. Er ist nicht nur ein Fahrzeug, sondern sein persönliches »rollendes Kloster«. Oft komme es vor, dass sich intensive Gespräche hierher verlagern. Wenn Leute wirklich das Bedürfnis haben, länger mit ihm zu reden, lädt er sie in sein kleines Heim ein. Bei Kaffee oder Tee entstehen dann meist die tiefer gehenden Unterhaltungen. Häufiger hat Bruder Gabriel aber auch Begleiter:innen auf Zeit. Mal seine Schwester, seine, wie er sagt, beste Mitarbeiterin Veronika oder auch Freunde. Viele ihm nahestehenden Personen leisten ihm zeitweise Gesellschaft. Zu diesen Zeiten wird dann mehr als einer der vier Schlafplätze imWohnmobil genutzt. Bruder Gabriel erwartet von seinen Gästen, dass sie, wie er, aber auf ihre jeweils eigene individuelle Weise, auf Menschen zugehen. »Die meisten kostet es am Anfang Überwindung, aber wenn sie einmal auf den Geschmack gekommen sind, wollen sie meist gar nicht mehr aufhören.« Und auch für ihn sei es schön, ab und an nicht allein unterwegs zu sein. Nicht allein Sowohl die Jünger Jesu als auch die Brüder in der Zeit von Franziskus waren immer zu zweit unterwegs. Bruder Gabriel hingegen bestreitet seine Reise eigentlich allein. »Natürlich wäre es schön, zu zweit unterwegs zu sein, aber dann muss die Chemie auf so engem Raum wirklich stimmen«, sagt er auf meine Nachfrage. Bis jetzt habe zudem noch kein Mitbruder von sich aus vorgeschlagen, ihn zu begleiten. Das Ganze ist ein Experiment, bei dem sich im letzten Jahr trotz Corona gezeigt hat, dass es funktioniert. Die Akzeptanz im Bistum und auch in der Franziskanerprovinz wachse stetig, berichtet Bruder Gabriel. Dazu trägt auch der Blog bei, den der Franziskaner regelmäßig schreibt und auf der Website des Projektes veröffentlicht. Stichpunkte in seinem Notizheft über besondere Erlebnisse und Erkenntnisse Aufbruch in die Innenstadt aus dem » rollenden Kloster«, das hier vor der katholischen Kirche in Neustrelitz steht

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