Franziskaner - Winter 2022

37 franziskaner 4|2022 Abschiedsrede des heiligen Josef Schließung des Exerzitienhauses in Hofheim Glaubt mir, ich hatte einen guten Platz: imInnenhof des Exerzitienhauses. Alsomittendrin. Von hier aus habe ich fast alles mitbekommen. Josef ist mein Name. Früher war ich Bauhandwerker in der Kleinstadt Nazareth, die durch meinen Adoptivsohn weltbekannt geworden ist. Ich selbst avancierte im Lauf der Geschichte lediglich zum Patron der Handwerker in der holzverarbeitenden Industrie, der Gewerkschafter und der Sozialisten. Aber auch zumPatron der Schweiger und der Träumer. Laut dem Evangelisten Matthäus habe ich nämlich viel geschwiegen und geträumt. Und das war dann meistens auch sehr vernünftig und hilfreich. Darum wurde mir im Himmel auch das Ressort Exerzitien zugeteilt. Zum Ende dieses Jahres wird das Exerzitienhaus in Hofheim – heute hat es den schönen Namen: Franziskanisches Zentrum für Stille und Begegnung – leider geschlossen. Ihr könnt euch vorstellen, dass es mir gar nicht gut damit geht. Ich werde viele und vieles vermissen. Hier war immer so viel Leben. Einige HunderttausendMenschenhat diesesHaus seit seinerEröffnung im Jahre 1926 gesehen. Sie kamen zu Seminaren, Meditationskursen, Exerzitien, Schulungen, Pfingstivals, Senior:innenfreizeiten, Pfarrgemeinderatssitzungen, Pastoralkonferenzen. Über hundertfünfzig Veranstaltungen standen jährlich imHausprogramm. AußerdemkamenFrauenundMänner zudenTagungen derOrdensgemeinschaften, der Bistümer, Pfarrgemeindenoder auch der Evangelischen Landeskirchen. Selbst Ministerien, Firmen und freie Bildungsträger haben das Haus in Anspruch genommen. Manchewaren vonweit her angereist. Diemeisten von ihnen sind mit einem Lächeln wieder gegangen. Also hat es ihnen gutgetan, hier gewesen zu sein. Dabei gab es auch schwere Zeiten. Der Gründer Pater Remigius Schulte OFMkammit leeren Händen hier an und musste das Geld für Grundstück und Gebäude mühsam erbetteln. Ich denke an die Zeit der Naziherrschaft. Von heute auf morgen wurde das Exerzitienhaus den Franziskanern weggenommen und als Unterkunft für Baltendeutsche und später als Lungenheilstätte verwendet. Ich denke an die vielen Bauarbeiten, die immer wieder fällig waren, um das Haus in gutem Zustand zu halten. Als ehemaliger Bauhandwerker interessierte ich mich immer schon für den Baubestand des Exerzitienhauses. Wenn es jetzt wegen der hohen Brandschutzkosten geschlossen wird, finde ich das sehr bedauerlich. Ihr werdet mir entgegenhalten: Das war doch zu deiner Zeit ganz anders als heute. Stimmt. Damals gab weder eine Kreisbaubehörde noch die Vorschriften des Denkmalschutzes und schon gar nicht die Verpflichtung, ein Brandschutzkonzept zu erarbeiten. Bitte, keine Missverständnisse: Ich bin nicht gegen Brandschutz. Ich habe ja seinerzeit alles getan, um das göttliche Kind vor jeder Gefahr zu beschützen. Aber ich frage mich schon, ob hier nicht die Bürokratie zu mächtig war. 96 Jahre war ich der Patron dieses Hauses undhabe nicht einen einzigenBrand erlebt. Ja, vielleicht verstehe ich das einfach nicht. Sei´s drum, aber ich finde, das ist ein ziemlicher Schlamassel, wie man bei uns in Israel sagt. Ich will aber an das Gute denken, das ich und viele andere erlebt haben. Chapeau vor den vielen Frauen undMännern, vor den Schwestern und Brüdern, die hier im Exerzitienhaus gelebt und gearbeitet haben. Applaus für die Freundinnen und Freunde, die das Exerzitienhaus unterstützt und gefördert haben. Mein göttlicher Adoptivsohn wird es ihnen lohnen! Da fällt mir ein anderes Wort ein, das wir in Israel gerne zumAbschied sagen: Mazel tov! Frei übersetzt heißt das: Habt einen guten Tropfen von oben! Also hebt euer Glas und: Mazel tov! Euer Josef von Nazareth erlauscht von Helmut Schlegel OFM © natanael ganter ofm

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=