Franziskaner - Winter 2022

7 franziskaner 4|2022 Deutschland dauerhaft keinenWohnraummangel mehr, wurden der soziale Wohnungsbau massiv reduziert und große gemeinnützigeWohnungsbaugesellschaftenanprivate Investorenverkauft. Der sogenannte freie Markt würde alles schon zur Zufriedenheit aller regeln. Kritiker:innen dieses neoliberalen Glaubenssatzes halten dagegen, dass gerade auf demWohnungsmarkt zu besichtigen sei, was es bedeutet, wenn in zentralen Bereichen der Daseinsfürsorge die erzielbare Rendite entscheidend sei und nicht die Erfüllung der Grundbedürfnisse der Menschen. Den sozialen Sprengstoff, den der große Wohnungsmangel bei gleichzeitig massiv steigenden Mietpreisen in den Groß- und Kleinstädten erzeugt, hatte insbesondere die SPD erkannt. Das Versprechen, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen und davon mindestens 100.000 mit Sozialbindung in Deutschland errichten zu lassen, wurde zu einem ihrer zentralenWahlversprechen bei der letzten Bundestagswahl. Und tatsächlich wurde wieder einMinisterium für »Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen« gebildet und der Bau von 400.000 Wohnung jährlich, davon 100.000 mit Sozialbindung, sowie die Förderung von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften imKoalitionsvertrag der Ampel festgelegt. Waren diese Ziele schon imHerbst 2021 sehr ambitioniert, so hat der Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen sowie die andauernde Corona-Pandemie mit ihren weltweiten wirtschaftlichen Auswirkungen ihre Realisierung – zumindest kurzfristig – unmöglich gemacht. Explodierende Bau- und Energiepreise, immer wieder unterbrochene Lieferketten und der weiter anwachsende Mangel an Fachkräften im ganzen Bausektor führten stattdessen im Jahr 2022 zu einer starken Reduzierung der Bautätigkeit. Insbesondere bei privaten Investoren würde die erforderliche Refinanzierung über Vermietung zu derart hohen Quadratmeterpreisen führen, dass selbst in der gegenwärtigenWohnraummangellage kaum jemand sie würde bezahlen können. In der Folge wurden viele Projekte erst mal gestoppt. Heute schon liegt dieMietwohnkostenbelastung im städtischen Bereich bei 30% des verfügbaren Einkommens. 20% der Mieter:innen in den Städten müssen für die Warmmiete über 40 % ihres verfügbaren Einkommens aufwenden, bei 12 % von ihnen ist es sogar die Hälfte. Auch wenn finale Zahlen für das vergangene Jahr noch nicht vorliegen, lässt sich schon jetzt behaupten, dass die von der Bundesregierung angestrebte und absolut notwendige Anzahl neuer Wohnungen im Jahr 2022 verfehlt wurde, und die Erwartungen sehen auch für 2023 nicht besser aus. Das ist besonders tragisch, weil imvergangenen Jahr unerwartet allein eine Million geflüchtete Menschen aus der Ukraine zusätzlich einDach über demKopf brauchEine Studie aus dem Jahr 2022 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) gibt erstmals repräsenative Zahlen für die Anzahl an Obdachlosen in Deutschland an. Demnach leben zur Zeit 37.400 Menschen auf der Straße. © jon tyson – unsplash.com

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