Franziskaner - Frühling 2023

11 FRANZISKANER 1|2023 apostolische Stuhl stimmt, wie gewöhnlich, zu) eine niedrige Kategorie päpstlicher Beurkundungen gewählt wurde. Andere zeitgenössische Orden, wie etwa der Predigerorden (Dominikaner), wurden mit einer bedeutenderen und feierlicheren Formel bestätigt. Tatsächlich bestätigte Papst Honorius, wie es im Text heißt, nur die bereits von seinem Vorgänger Innozenz III. gutgeheißene Regel. Dabei handelt es sich um die 1209 bestätigte Lebensform von Franziskus und der ersten Brüder, die allerdings nur aus wenigen Zitaten des Evangeliums bestand und nicht den Text der Bullierten Regel enthielt. Mit dieser Anknüpfung an eine auch nur mündlich gegebene Erlaubnis aus dem Jahre 1209 umging die päpstliche Kurie 1223 das Verbot des Vierten Laterankonzils von 1215, neue Ordensregeln zu genehmigen. Alle künftigen Regeln sollten sich an den Regeln von Benedikt oder Augustinus orientieren. Das allerdings hatte Franziskus energisch von sich gewiesen. Folglich blieb nur ein frommes Kabinettstück, um den Willen des Franziskus auszuführen und die Konzilsentscheidung zu umgehen. Von einer kirchlich akzeptierten Bruderschaft … Nicht von der Hand zu weisen ist gleichwohl die Tatsache, dass ausgehend von der Urregel eine Entwicklung der Lebensform und folglich auch eine Erweiterung des Urtextes bis hin zur Redigierung eines allerdings päpstlich nicht bestätigten Textes im Jahre 1221, der »Nicht-­ bullierten-Regel« (NbR), stattgefunden hatte. Dieser im Laufe der Jahre zwischen 1209 und 1221 immer wieder erweiterte Regeltext bezeugt die Entwicklung der Gemeinschaft der Minderbrüder angesichts der immer wieder neuen Herausforderungen an ihre Lebensform. Die 24 Kapitel (der NbR) belegen auch, wie Franziskus selbst den Geist des Evangeliums im konkreten Leben der Brüdergemeinschaft verwirklicht sehen wollte. Daher wurden diese Abschnitte ausführlich mit Bibelzitaten untermauert, allerdings nie zur Approbation durch die römische Kurie vorgelegt. Ganz anders liest sich die schon zwei Jahre später approbierte »Bullierte Das Evangelium beobachten »Regel und Leben der Minderen Brüder ist dieses, nämlich unseres Herrn Jesu Christi heiliges Evangelium zu beobachten.« Gefragt, welche Bedeutung für mich unsere Ordensregel hat, komme ich immer wieder auf diesen Satz zurück. Das Evangelium beobachten, mehr will Franziskus nicht für sich und nicht für seine Brüder. Es ist eine Aufgabe, die mit Neugierde zu tun hat. Wer beobachtet, schaut nicht einfach zu, er schaut genau hin, will wissen, um was es geht. Im Evangelium geht es darum, wie sich Gottes Liebe in seiner Menschwerdung in die Welt hineingibt und sich in ihr ausbreitet. Ein guter Beobachter wird sie in Schöpfung und Geschöpfen entdecken. Wenn ich Gott so entdecke, dann kann ich mich ihm nicht entziehen. Mein Leben wird zum Antwortversuch auf das, was ich durch meine Beobachtung entdeckt habe: die Antwort eines Geliebten. Wo mir mein Antworten gelingt, wird diese Welt zu dem, was durch die Botschaft Jesu angekündigt wurde, sie wird zum Reich der Gerechtigkeit und des Friedens, zum Reich Gottes, das unter uns bereits angebrochen ist. Thomas Abrell OFM, München Regel«: In nur zwölf Kapiteln, mit einem Minimum an biblischen Verweisen, dafür aber in der damals üblichen juristischen Terminologie, wurde diese Regel aufgesetzt. Aus einer kirchlich akzeptierten Bruderschaft, die einer größeren Bewegung von Frauen und auch Laien verbunden war, war ein approbierter Orden mit institutionellen Strukturen unter der Schirmherrschaft des Papstes geworden. Diese Regel spiegelt folglich deutlich eine Mutation der Gemeinschaft wider, die sich in wenigen Jahren vollzogen hatte. Aus der anfänglich kleinen Gruppe von Brüdern um Franziskus und einem wachsenden Kreis von Sympathisanten war bereits eine internationale Gemeinschaft von circa 5.000 Brüdern geworden. Erste Strukturen hatten sich in der Einführung von zwölf Provinzen als Lebensräume der Bruderschaft entwickelt. Während der Pilgerreise 1219 ins Heilige Land, mit dem Höhepunkt der friedlichen Begegnung mit dem Sultan, hatte es einen Aufruhr in der Gemeinschaft gegeben. Die Vikare, die Franziskus zur Leitung während seiner Abwesenheit zurückließ, hatten gegen dessen Willen versucht, der Brüdergemeinschaft eine der klassischen Ordensregeln aufzuzwingen. Auch waren immer mehr Kleriker, Prediger, in die Gemeinschaft eingetreten, die keiner Handarbeit mehr nachgingen, wie noch die ersten Brüder. Zudem wurden die ersten festen, wenn auch kleinen Niederlassungen gegründet, und die Brüder zogen nicht mehr, wie die Gründergeneration, als »Itineranten«, Pilger und Fremdlinge, von Dorf zu Stadt, um das Evangelium durch Wort und Tat zu verkünden. Es zeigte sich, dass eine spirituelle Regel auf der Basis interpretierbarer Bibelzitate nicht mehr ausreichte. … zu einem Orden mit institutionellen Strukturen Von einer großen Gruppe, vor allem gebildeter Brüder, wurde eine richtige Regel verlangt. Franziskus selbst sah sich den damit verbundenen Auseinandersetzungen nicht mehr gewachsen und zog sich aus der formalen Leitung der Gemeinschaft zurück, blieb aber der charismatische Stachel im Fleisch der Bruderschaft, der sich aus der Abfassung

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