Franziskaner - Frühling 2023

18 FRANZISKANER 1|2023 Der Schatz der Gesch Alles geregelt – auch außerhalb des Klosters? Frau Bendel, Sie sind Mitglied des dritten, weltlichen Zweiges der Franziskanischen Ordensfamilie (OFS – ordo franciscanus saecularis). In diesem Jahr feiern wir das Jubiläum der Bestätigung der Regel des ersten Ordens vor 800 Jahren. Welche Bedeutung haben Regelwerke nach Ihrer Erfahrung für ein Leben als franziskanisch orientierter Mensch? Wie im alltäglichen Leben braucht es Regeln, damit ein Miteinander gelingen kann. Daher sind Regeln erst einmal etwas Positives – wenn sie nicht zum sogenannten allein seligmachenden Heil erklärt werden und die Luft zum Leben nehmen. Franziskus wollte ja erst einmal gar keine Regel. Aber wenn Menschen dann in größerer Zahl zusammenkommen und gemeinsam leben wollen, braucht es eine Orientierung. Die erste Orientierung sind immer Gott mit seiner Liebe zu uns Menschen und Jesus, der diese Liebe in dieser Welt sichtbar macht. Franziskus hat versucht, diese göttliche Liebe in den Alltag zu übersetzen. Und diesen »Übersetzungsauftrag« hat er uns, die wir franziskanisch in dieser Welt leben wollen, hinterlassen. Gerade in diesen Zeiten, die geprägt sind von Kriegen, Klimakrise, fehlender Nachhaltigkeit, Egoismus und immer mehr säkularen Strömungen, hoffe ich, dass der franziskanische Geist die Welt und auch die römische-katholische Kirche beleben und erneuern kann. Die Regel ist da so etwas wie eine Orientierungshilfe, wie sich franziskanisches Leben weltweit äußern und in verschiedensten Lebensformen entfalten kann. Worin besteht für Sie der wesentliche Unterschied zwischen der Regel des OFS und der Regel des ersten Zweiges? Die Regel für den OFS entstand in direkter Anlehnung an die Regel des 1. Ordens. Aber für uns gilt das ehelose Leben nicht. Und wir leben auch nicht in klösterlicher Gemeinschaft. Das bedeutet für uns auf der einen Seite eine Art »Freiheit«, den Tagesablauf und das geistliche Leben selbst auszugestalten; zum Beispiel die spirituellen Zeiten: wie, womit, wie oft, welchen Inhalt wähle ich, anstatt vorgegebene Gebetszeiten, Brevier, Bibelstudium. Das ist nicht immer einfach, vor allem, wenn man noch Familie hat. Wie kann ich da franziskanische Akzente setzen, ohne die anderen Familienmitglieder zu vereinnahmen? Diese Frage stellt sich auch in anderen Lebensbereichen. Wir können unseren Beruf an unterschiedlichsten Arbeitsstellen ausüben und haben hier die Möglichkeit, den franziskanischen Geist mit hineinzubringen. Das gilt auch für das Ehrenamt. Wer beispielsweise in dem Verwaltungsrat einer Pfarrei mitarbeitet, kann Überzeugungsarbeit leisten, das Geld nach ethisch vertretbaren Gesichtspunkten anzulegen statt nur nach der Höhe der Zinserträge. Oder wenn Politikerinnen und Politiker unserem Orden angehören, können sie in Brüderliches Gemeinschaftsleben Unser Generalminister hat unserer Provinz vor Kurzem geraten, das geistliche und brüderliche Gemeinschaftsleben sei das beste Zeugnis, um jungen Männern, die so ein Leben suchen, eine Perspektive als Franziskaner aufzuzeigen. Auch im Provinzkapitel kamen wir zu der Feststellung: »Die Brüder sollten geistliche Gespräche führen, sich über die Dinge, die sie beschäftigen, austauschen und sich füreinander interessieren …« Ich finde diesen Rat in der Bullierten Regel im Kapitel 6 wie folgt ausgedrückt: »Und wo immer die Brüder sind und sich treffen, sollen sie sich einander als Hausgenossen erzeigen. Und zuversichtlich soll einer dem anderen seine Not offenbaren …« In einer Berufungskrise habe ich mit Mitbrüdern über mein Scheitern und Ringen, meine Schwächen und sonstigen Nöte gesprochen, und es hat sehr geholfen. Einander die Not offenbaren ist für mich wie ein Schlüssel für gelungenes Zusammenleben. So wird eine Gemeinschaft authentisch und lebendig, und aus der offenbarten Not entstehen Verständnis und Humor, die helfen, sich selbst und den anderen so anzunehmen, wie wir sind. René Walke OFM, Hülfensberg

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