Franziskaner - Frühling 2023

21 FRANZISKANER 1|2023 Familiennachzug Ein deutsches Trauerspiel und ein wenig Licht am Ende des Tunnels Der Schutz der Familie ist in Deutschland ein hohes Gut – ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens. Dies gilt auch für Geflüchtete und Migrant:innen – zumindest theoretisch. Doch wie sieht die Realität aus: Nicht einmal der Nachzug von tausend Familienmitgliedern von subsidiär Geschützten im Monat wird erreicht. Immer wieder wird von unzähligen bürokratischen Hürden und fehlendem Personal zur Bearbeitung der Anträge berichtet. So zieht sich der Nachzug von Kindern oder Ehepartner:innen häufig über Jahre hin oder scheitert gänzlich. All dies ist mit großen psychischen Belastungen verbunden. Woran liegt es, dass sich daran seit vielen Jahren kaum etwas verändert? Was kann getan werden, damit eine humanitäre und rechtskonforme Praxis beim Familiennachzug endlich gelingt? Darüber und über ihre Erfahrungen sprachen wir mit Sophia Stockmann, Referentin für Migration und Integration beim Deutschen Caritasverband in Freiburg. Frau Stockmann, wer hat eigentlich in Deutschland ein Recht auf Familiennachzug? Die Rechtsgrundlage ist das Aufenthaltsgesetz, ein Bundesgesetz, in dem alle Vorschriften zum Familiennachzug bundeseinheitlich geregelt sind. Grundsätzlich geht es um die sogenannte Kernfamilie. Nach dem Ausländerrecht sind dies die jeweiligen Ehepartner:innen und die minderjährigen Kinder. Wenn sich beispielsweise ein syrischer Flüchtling in Deutschland aufhält, dann dürfte die Ehefrau nachziehen und die gemeinsamen minderjährigen Kinder. Wenn sich ein minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling in Deutschland aufhält, dann dürften die Eltern, aber nach gegenwärtiger Rechtslage nicht seine Geschwister nachziehen, weil die Geschwister nach dieser Definition nicht zu seiner Kernfamilie gehören. Diese Regelung stellt schon eines der großen Probleme dar, mit denen unsere Berater:innen konfrontiert sind. Für Geflüchtete ist dieses Verständnis von Kernfamilie kaum nachzuvollziehen. Das gilt umso mehr, da in vielen Herkunftsgesellschaften der Familienbegriff viel weiter gefasst ist. Gibt es beim Familiennachzug Unterschiede zwischen anerkannten Flüchtlingen, subsidiär Anerkannten und Geflüchteten, die nur geduldet sind? Anerkannte Flüchtlinge haben Anrecht auf Familiennachzug. Sie müssen nicht nachweisen, dass sie den Lebensunterhalt selbstständig bestreiten oder über ausreichenden Wohnraum verfügen. Hier sind die rechtlichen Voraussetzungen gering, was aber nicht heißt, dass der tatsächliche Familiennachzug unkompliziert wäre. Eine zweite Gruppe sind die subsidiär Schutzberechtigten, also Menschen, die vor Krieg in ihrem Herkunftsland geflohen sind, aber als Individuen politisch nicht verfolgt wurden. Das betrifft viele Menschen, die beispielsweise 2015 aus Syrien geflohen sind. Für sie gibt es derzeit keinen Anspruch auf Familiennachzug. Es gilt noch der Beschluss der ehemaligen Bundesregierung, dass pro Monat 1000 Familienangehörige von Schutzberechtigten einreisen können, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen: Kinder betroffen sind, bestimmte gesundheitliche Gründe oder andere Härten vorliegen. Doch die Zahl von 1000 Familienmitgliedern wurde seit Sophia Stockmann hat Soziologie in Bielefeld und in Guadalajara (Mexiko) studiert. Sie ist Referentin für Flucht und Asyl beim Deutschen Caritasverband e. V. in Freiburg. Für den Bundesverband der Caritas kümmert sie sich hauptsächlich um die Themen Familiennachzug von Flüchtlingen, Asylverfahren und Asylverfahrensberatung.

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