Franziskaner - Frühling 2023

29 FRANZISKANER 1|2023 Fratelli tutti Thomas Abrell OFM Über die weltweite Geschwisterlichkeit Enzyklika unter der Lupe © FELIX KÄSTLE – PICTURE-ALLIANCE.COM In seiner Enzyklika über die »Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft« »entfaltet Papst Franziskus seinen Traum von einer neuen, geschwisterlichen Welt und erhebt damit die Vision einer Menscheitsfamilie zur offiziellen Lehre der Kirche« (Martina Kreidler-Kos). Thomas Abrell beleuchtet in dieser und den folgenden Ausgaben jeweils einen Aspekt dieses zukunftsfähigen Lehrschreibens. In einigen Ankunftsländern lösen »Migrationsphänomene Alarm und Ängste aus, die oft für politische Zwecke angeheizt und missbraucht werden. Auf diese Weise verbreitet sich eine fremdenfeindliche Mentalität, man verschließt sich und zieht sich zurück. Migranten werden als nicht würdig genug angesehen, um wie jeder andere am sozialen Leben teilzunehmen, und man vergisst, dass sie die gleiche innewohnende Würde besitzen wie alle Menschen. Daher müssen sie ihre eigene Rettung selbst in die Hand nehmen. Niemand wird behaupten, dass sie keine Menschen sind, in der Praxis jedoch bringt man mit den Entscheidungen und der Art und Weise, wie man sie behandelt, zum Ausdruck, dass man ihnen weniger Wert beimisst, sie für weniger wichtig und weniger menschlich hält.« (Enzyklika »Fratelli tutti« 39) Es soll ein neues Einwanderungsgesetz geben, zumindest ist ein Entwurf aus dem Arbeits- und dem Innenministerium auf den Weg gebracht worden. Dieses Gesetz soll vor allem Menschen nach Deutschland »locken« – am liebsten gut ausgebildete Fachkräfte. Ob diese Menschen nicht viel mehr dort gebraucht werden, wo sie ausgebildet werden, ist für mich eine berechtigte Frage. Und ich frage mich auch: Warum Menschen nach Deutschland locken, wo doch schon so viele da sind? Warum tun wir uns so schwer, Menschen in unserem Land arbeiten zu lassen, die als Geflüchtete oder Asylbewerber:innen bereits da sind? Natürlich müssen viele von ihnen erst qualifiziert werden. Doch das ist ein gerechterer Weg, als anderen ihre Fachkräfte abzuwerben. Gerade sollte wieder eine Frau abgeschoben werden, kurz bevor sie mit ihrer Ausbildung in der Krankenpflege beginnen wollte. Menschen lieber abzuschieben, als sie arbeiten zu lassen, ist unmenschlich, schließt Menschen vom sozialen Leben aus. Es ist unmenschlich und unvernünftig, wenn ihnen für Monate, ja häufig für Jahre die Möglichkeit des Arbeitens verwehrt wird, sie zum Nichtstun gezwungen werden, nur weil wir Angst haben, sie könnten in Deutschland bleiben wollen. Wir sind Einwanderungsland, und wir brauchen Einwanderung. Doch es kann nicht darum gehen, die Menschen in erwünscht und unerwünscht zu sortieren. Jeder Mensch hat unveräußerliche Würde – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Religion. Das ist christliche Glaubensüberzeugung. Es kann also nur darum gehen, alle Menschen zu integrieren, die in unser Land und unser Leben kommen, und ihnen eine Möglichkeit zu bieten, selbstbestimmt zu leben und auch zu arbeiten. Dazu braucht es Widerstand gegen alle Tendenzen, die Furcht und Angst vor dem Fremden schüren, und es braucht Ideen und schöpferischen Geist, um allen Menschen den Weg in unsere Welt zu öffnen. Die Belohnung ist nicht eine arme, sondern eine reiche Gesellschaft. Asylbewerber Omar Ceesay macht, unter der Leitung von Geschäftsführer Alexander Lanz, in einer Schreinerei in Baden-Württemberg eine Ausbildung zum Schreiner

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