Franziskaner - Frühling 2023

3 FRANZISKANER 1|2023 »Regel und Leben …« Ich bin ein Mensch, der Ordnung liebt und deshalb gerne aufräumt. Meine Mitbrüder schmunzeln schon, wenn ich beim Frühstücken die Marmeladengläser ordentlich in der Mitte des Tisches gruppiere und regelmäßig die Zuckerkrümel wegwische. Mir tut es gut, mein Zimmer aufzuräumen, meine Ablage zu ordnen und Überflüssiges auszusortieren. Schwierig wird es freilich, wenn Ordnungsideale sich verselbstständigen und das Aufräumen und Sortieren zum Selbstzweck oder womöglich zwanghaft werden. Da kann es dann eng für einen selbst und für andere werden. Und das dient nicht mehr dem Leben. »Regeln sind wie Laternen«, meinte mein geistlicher Begleiter einmal zu mir. »Sie leuchten uns den Weg in der Dunkelheit. Nur Betrunkene und Verrückte klammern sich an ihnen fest.« Ich finde, da ist was dran. Regeln sollen Orientierung und Sicherheit geben, sie sorgen für Verbindlichkeit und erleichtern damit unser Miteinander im Alltag. Ordnung und Regeln sind nicht das Ende von Kreativität und Freiheit, sondern deren Voraussetzung. Doch wer zum Paragrafenreiter wird, wer im Konfliktfall nur auf Gesetze und Normen zurückgreift, der erstickt das Leben. Außerdem gilt: »Summum ius summa iniuria (höchstes Recht höchstes Unrecht).« Das Diktum von Cicero besagt, dass die buchstabengetreue Anwendung eines Rechtssatzes im Einzelfall zu größter Ungerechtigkeit führen kann. Es braucht daher stets das rechte Maß bei der Anwendung von Recht und Ordnung. »Regel und Leben der Minderen Brüder ist dieses, nämlich unseres Herrn Jesus Christus heiliges Evangelium zu beobachten durch ein Leben in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit« (Bullierte Regel des heiligen Franziskus, 1. Satz). Mich spricht der Auftakt unserer Ordensregel sehr an. In diesem Jahr feiert diese Regel ihr 800-jähriges Jubiläum. »Regel und Leben« – zwei Begriffe, die hier bei Franziskus quasi synonym verwendet werden. Und es kommt ein dritter Begriff hinzu: das Evangelium. Die Regel und das Leben der Minderen Brüder erwachsen für Franziskus aus dem Evangelium, der Frohen Botschaft Jesu. Zugespitzt formuliert: Das Evangelium ist die Regel und das Leben der Minderen Brüder. Eine Regel, die Freiheit atmet! Was das im Einzelnen bedeuten kann, lesen Sie in diesem Heft. Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre, eine gute restliche Fastenzeit und ein befreiendes Osterfest! Markus Fuhrmann OFM (Provinzialminister) © FRESH STOCK – STOCK.ADOBE.COM

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