Franziskaner - Frühling 2023

39 FRANZISKANER 1|2023 Interview und Bearbeitung: Thomas Meinhardt Der Hunger ist zurück Wie schlimm muss es eigentlich noch werden … Mit dem ersten sogenannten Milleniumsziel hatten sich die UN vorgenommen, den Hunger bis zum Jahre 2030 weltweit zu besiegen. Und tatsächlich hatte sich schon im Jahr 2011 die Zahl der weltweit Hungernden seit dem Jahr 2000 fast halbiert. Die Menschheit schien auf einem guten Weg. Doch nach Jahren der Stagnation steigt seit 2018 die Zahl der Hungernden kontinuierlich und zuletzt wieder steil nach oben an. Der Hunger ist zurück, und immer mehr Expert:innen befürchten eine weltweite Hungerkrise. Darüber, was getan werden kann, um die sich andeutende verheerende Entwicklung zu stoppen, sprachen wir mit dem Referenten für Landwirtschaft und Ernährung bei Misereor, Dr. Lutz Depenbusch. Herr Depenbusch, wie dramatisch ist die Hungerkrise schon jetzt? Schon vor dem Ukraine-Krieg waren es bereits wieder 828 Millionen chronisch Hungernde auf der Welt, so die Erhebungen der FAO (UN-Welternährungsorganisation). Wie viel schlimmer muss es eigentlich noch werden, bis diese Katastrophe in den Fokus der Weltgemeinschaft rückt? Dabei sind fast eine Milliarde Hungernde nur die Spitze des Eisberges, denn ausreichende Ernährung ist mehr als nur Kalorien zum Überleben. Ein Drittel der Menschheit kann nicht darauf vertrauen, genügend zu essen zu haben, und hat oft keinen Zugang zu ausreichender Nahrung. Mehr als drei Milliarden Menschen weltweit – insbesondere Frauen und Mädchen – können sich keine ausgewogene und gesunde Ernährung leisten. So betrachtet sind wir mitten in einer Hungerkatastrophe, und diese betrifft nicht nur die ganz akuten Krisen, wie derzeit in Somalia, Äthiopien, Jemen, Haiti …, die meist noch zusätzlich durch Kriege, Zerfall der staatlichen Strukturen oder Extremwetterereignisse verstärkt werden. Wie wirkt sich der Krieg Russlands gegen die Ukraine auf die Nahrungsmittelkrise aus, und welche anderen Faktoren spielen noch eine wichtige Rolle? Der Krieg in der Ukraine hatte zunächst einmal direkte Auswirkungen auf die Getreidepreise. Diese waren schon vor Kriegsbeginn auf einem Höchststand und haben sich dann in kurzer Zeit noch mal um 35 bis 40 % erhöht. Mittlerweile sind sie wieder fast auf Vorkriegsniveau gesunken, aber das heißt nicht, dass der Krieg keine Folgen hätte. Neben dem Engpass bei Getreide – Russland und die Ukraine haben beispielsweise einen Welthandelsanteil von 34 % bei Weizen – sind auch die Energiepreise und die Preise für energieintensive Düngemittelherstellung stark angestiegen. Aus Russland und Belarus stammen allein 33 % des international gehandelten Kalidüngers, und viele Länder im globalen Süden sind derzeit stark vom Einsatz importierter Dünger abhängig. Das grundlegende Problem ist, dass es derzeit eine Vielzahl von negativen Entwicklungen gibt und nicht die eine große Ursache. Die weltweite Corona-Pandemie hat beispielsweise die Weltwirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogen und viele Lieferketten unterbrochen. Sie hat das wirtschaftliche Leben in sowieso schon benachteiligten Regionen stark betroffen und dort insbesondere die ärmeren Bevölkerungsteile, die oft keinerlei Reserven haben. Eine große und zunehmende Rolle spielt auch die Klimaerhitzung, nicht nur durch Flutkatastrophen wie in Pakistan, wo ein Drittel der Landesfläche überflutet war, sondern auch durch die Zunahme von lange anhaltenden Dürreperioden und Extremwetterereignissen, die sich insbesondere auf die landwirtschaftlichen Dr. Lutz Depenbusch hat als Entwicklungsökonom in Ostafrika, Süd- und Südostasien zu Ernährungs- und Landwirtschaftsthemen geforscht. Seit 2021 ist er Referent für Landwirtschaft und Ernährung bei Misereor, dem katholischen Werk für internationale Zusammen- arbeit.

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=