Franziskaner - Frühling 2023

40 FRANZISKANER 1|2023 Erträge negativ auswirken. Diese ganzen Entwicklungen treffen in vielen Ländern des globalen Südens auf eine äußerst angespannte Situation, in der weder die Menschen noch die Staaten über Reserven verfügen. Dann kommt es rasch zu einer Hungerkatastrophe kaum vorstellbaren Ausmaßes. Was bedeutet es für Menschen, wenn sie über einen längeren Zeitraum Hunger leiden? Es geht beim akuten Hunger nicht nur darum, wenig zu essen zu haben, sondern dass Familien ihr Vieh, ihr Zuhause, im Grunde alles bereits aufgegeben haben und nur noch versuchen, irgendwie den Hunger zu stillen. Das bedeutet auch, dass sie der Grundlage ihrer zukünftigen Ernährung beraubt werden und vollständig im Jetzt überleben müssen – eine massive physische und psychische Belastung. Eine weitere Form des Hungers, von dem noch sehr viel mehr Menschen betroffen sind – auch in Regionen, die gerade nicht zu den extremen Krisengebieten gehören –, wird versteckter Hunger genannt. Das bedeutet: Menschen können zwar einen vollen Magen haben, aber ihre Nährstoffversorgung, also eine ausgewogene Ernährung, ist nicht gewährleistet. Das wirkt sich besonders bei Kindern aus, die sich körperlich und geistig nicht voll entwickeln können, oder auch bei Schwangeren und jungen Müttern, deren Kinder durch ihre Mangelernährung geschädigt sind. Das beeinträchtigt das gesamte Leben dieser Kinder. Auch dies müssen wir uns bewusst machen, wenn es uns nicht gelingt, den Hunger auf der Welt zu besiegen. Welche dringenden Maßnahmen sollten ergriffen werden, um zunächst einmal die aktuelle Hungerkrise abzumildern? Kurzfristig müssten die Mittel für die humanitäre Hilfe erhöht werden, da auch die Preise deutlich gestiegen sind. Zudem müssten die Staaten, die von der Hungerkrise betroffen sind, finanzielle Mittel erhalten, um Schutzmechanismen für die Bevölkerung zu finanzieren oder aufrechtzuerhalten. Entschuldung ist ein vitaler Teil dessen, denn die Schulden liegen auf Rekordniveau und Unmengen knappes Geld fließen in Zinszahlung an reiche Individuen und Staaten statt in die Krisenbekämpfung. Relativ viel Getreide könnte rasch verfügbar gemacht werden, wenn die Treibstoffherstellung aus Getreide, der sogenannt Biosprit, kurzfristig gestoppt würde. In Deutschland sind es ca. 5 % Anteil an der Getreideproduktion und in den USA noch deutlich mehr, die für die Ethanolproduktion benutzt werden. Das wären schon sehr relevante Mengen, um kurzfristig die Hungerkrisen einzudämmen. Die neuen Pläne der Bundesregierung die Nutzung bis 2030 auf Abfallprodukte zu beschränken ist gut, aber zu langsam. Noch entscheidender ist aber die weitere Reduzierung von Produktion und Konsum von tierischen Lebensmitteln, weil dies nicht nur für die CO2-Reduzierung nötig ist, sondern eine intensive Tierhaltung auch viel Getreide verbraucht, was dringend für die menschliche Ernährung benötigt wird. Damit sind wir allerdings schon bei mittelfristig nötigen Maßnahmen, die natürlich auch mit Blick auf die deutschen Landwirte gestaltet werden müssen. Was müsste langfristig getan werden, um den Hunger auf der Welt wirklich zu besiegen? Der wesentliche Hebel ist das Recht auf Nahrung und die Sicherstellung der Welternährung. Um dieses zentrale Ziel zu erreichen, wurde der Welternährungsausschuss CFS 2009 reformiert. In diesem UN-Gremium sitzen Staaten, NGOs, indigene Gruppen und Organisationen, Vertreter:innen von Wirtschaft und Wissenschaft. Dieser wirklich inklusive Charakter macht den CFS eigentlich zum idealen Ort, um gemeinsame Lösungen für eines der zentralen Menschheitsprobleme auf den Weg zu bringen. Doch nicht nur der Krieg in der Ukraine mit allen seinen Folgen für die verstärkte Konfrontation mit autoritär regierten Staaten, sondern auch demokratisch regierte Länder wie die USA blockieren derzeit dieses Gremium und wollen diese Themen in Foren angehen, in denen die betroffenen Länder und Bevölkerungsgruppen keine gleichwertige Mitsprache haben. Das ist grundsätzlich nicht akzeptabel. Auf UN-Ebene ist ein solches internationales Forum, in dem die Betroffenen mitsprechen und entscheiden können, nötig, um eine nachhaltige Garantie einer weltweiten sicheren Welternährung auch zu realisieren. International wäre es zudem wichtig, Kontrollen gegen die exzessive Spekulation mit Lebensmitteln endlich wirkungsvoll umzusetzen, um diesen zusätzlichen Preistreiber auf Kosten der Ärmsten auszuschalten. Generell müssen Staaten von Nahrungsmittelimporten unabhängiger werden, um nicht schwankenden Weltmarktpreisen, Lieferkettenunterbrechungen etc. hilflos ausgeliefert zu sein. Aus Sicht von Misereor ist die Widerstandsfähigkeit der Ernährungssysteme in den besonders von Armut betroffenen Regionen am besten durch die Ausrichtung Ernte von Hand im Sommer 2022 im Jemen. Das kriegsgebeutelte Land importiert fast 90 Prozent seiner Nahrungsmittelversorgung, darunter Getreide zu etwa 45 Prozent aus Russland und der Ukraine. Das Land ist von den Preisexplosionen bei Lebensmitteln und den ausfallenden Lieferungen aus der Ukraine besonders schwer betroffen. © YAHYA ARHAB – PICTURE-ALLIANCE.COM

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