Franziskaner - Frühling 2023

42 FRANZISKANER 1|2023 © ALESSANDRA SCHELLNEGGER – PICTURE ALLIANCE.COM Ramadan und Fastenzeit In den letzten beiden Jahren haben wir aus Anlass des Jubiläumsjahres »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« in der Reihe »Jüdisch – christlich« vor allem jüdische und christliche Feste, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie einige Bräuche näher betrachtet. Diese Reihe ist nun abgeschlossen, und wir beginnen eine neue, in der wir einen Blick auf Aspekte werfen, die das Christentum und den Islam miteinander verbinden. In der ersten Ausgabe dieses Jahres beginnen wir mit dem Thema »Fasten«, da beide Religionen gerade eine besondere Zeit des Fastens begehen. Das Fasten hat sowohl im Christentum als auch im Islam eine große Bedeutung und erfährt eine hohe Wertschätzung. Beide Religionen haben sogar jedes Jahr einen festgelegten Zeitraum für das Fasten: im Christentum die Fastenzeit, die am Aschermittwoch beginnt und mit der Osternacht endet und somit 40 Tage umfasst, und im Islam den Fastenmonat Ramadan. Beide Zeiträume des Fastens enden mit einem Fest: mit Ostern und Eid al-Fitr. Das Fasten meint in beiden Religionen einen zeitlich begrenzten Verzicht auf Nahrung oder andere Bedürfnisse menschlichen Lebens. Das Ziel, das damit verfolgt wird, war ursprünglich nicht unbedingt der Verlust von Körpergewicht, sondern die Abwehr dämonischer Kräfte. Denn diese, so glaubte man, ergreifen durch die Nahrung Besitz von den Menschen. Das Fasten wird als eine besondere Offenheit für Gott verstanden. Neben den verschiedenen Religionen hat auch die Medizin die reinigende Wirkung des Fastens entdeckt. In den letzten Jahren ist es immer populärer geworden, und es wird eine Vielzahl von Fastenkuren oder Fastentherapien angeboten, zum Beispiel das Heilfasten. Manchmal wirkt das Fasten so, als ob es eine rein obligatorische und fromme Übung sei – ein eher oberflächlicher Brauch. Auch sollte das Fasten nicht dazu dienen, sich vor Gott selbst zu rühmen und selbstgerecht zu werden. Es geht beim Fasten nicht um die Verachtung von Nahrung, sondern um deren Anerkennung als Gabe Gottes, und es ist Ausdruck einer demütigen und unterwerfenden Haltung und kann mit einer Bitte um Vergebung verbunden sein. Das Fasten kann dazu führen, frei zu werden von materiellen Dingen und Bedürfnissen, frei für die Menschen, für die Welt und für Gott. Beispiele hierfür finden sich im Alten wie im Neuen Testament, wo häufig vom Fasten und seiner Praxis die Rede ist. Johannes der Täufer hat sehr streng gefastet, und auch Jesus hat sich vor seinem öffentlichen Wirken zu einem vierzigtägigen Fasten in die Wüste zurückgezogen. Daran erinnert im Christentum bis heute die vierzigtägige Fastenzeit, die auch

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