Franziskaner - Frühling 2023

47 FRANZISKANER 1|2023 aber auch aus dem Inland, vor allem aus den kurdischen Gebieten, wird vom Militär, von der AFAD behindert und wird erst mal nicht an die Menschen verteilt. Die Lkws werden an Kontrollpunkten angehalten und zu AFAD-Depots gebracht. Dort werden die Hilfsgüter eingelagert. Man weiß nicht, wann, ob und an wen sie verteilt werden. Wenn Hilfslieferungen von anderen Organisation oder Parteien wie der sozialdemokratischen CHP oder der pro-kurdischen HDP (beides Oppositionsparteien) am Stadteingang ankommen, werden sie angehalten, und ihre Logos werden gegen die Logos der Regierungspartei AKP ausgetauscht. Zehntausende sind noch immer obdachlos Unser Ziel war es, unsere Hilfsgüter – 105 Zelte, 515 Decken und 100 Solarlichter für 105 Familien – nicht dem Staat zu überlassen. Das haben wir geschafft. 105 kinderreiche Familien, die aus Adıyaman in die Dörfer in den Bergen geflohen sind, waren sehr glücklich, Zelte, Decken und Solarlichter zu erhalten. Viele Menschen haben uns dabei geholfen, und so haben wir die Hilfsgüter durchbekommen und zu den Notleidenden gebracht. Aber es war wirklich ein Kampf, und das hört man von allen NGOs, die vor Ort sind, und auch von den internationalen Bergungsteams, bevor sie abgezogen sind. Zehntausende leben noch obdachlos auf den Straßen. Die Trinkwasserversorgung funktioniert nicht. Es gibt keine Toiletten und auch keine Duschen. Krankheiten breiten sich jetzt aus, und besonders Frauen und Kinder leiden darunter. Wir haben mit Menschen in Adıyaman, Maraş und Antakya gesprochen. Egal ob es Kurden, Türken, Araber oder Christen waren, alle haben gesagt: ›In den ersten vier Tagen war der Staat nicht da. Wir waren allein auf uns gestellt. Unsere Menschen sind in den ersten vier Tagen gestorben, weil sie auch erfroren sind, und Freiwillige, vor allem Jugendliche, aus den Nachbarstädten haben geholfen. Sie sind mit Nahrung und mit Decken gekommen. Sie sind gekommen, um die Leute rauszuholen.‹ Ich habe mit zwei Jugendlichen gesprochen, die traumatisiert waren, weil sie nur noch Tote geborgen haben, weil keine Rettungstrupps da waren. Tote und Lebende waren alle eingeschlossen in einem Raum. Psychologische Unterstützung gab es nicht und gibt es noch immer nicht. Die Wunden werden noch lange bleiben, weil vielen Menschen ihre Toten nicht übergeben wurden. Viele Familien, die bis zu 15 Mitglieder verloren haben, sagen: ›Wir wollen unsere Toten haben, damit wir zum Friedhof gehen können, aber jetzt ist ja alles abgeräumt.‹ Was getan werden sollte Die Bundesregierung muss nicht nur einfach Spenden überweisen, sondern auch die Verwendung kontrollieren. Und sie muss von der türkischen Regierung einfordern, dass alle Spenden und Hilfsgüter an ihrem Bestimmungsort ankommen, dass alle Hilfsorganisationen und NGOs die Möglichkeit haben, diese Hilfsgüter vor Ort selber zu verteilen, und diese nicht beschlagnahmt werden. Die Bundesregierung hat jetzt beschlossen, dass Erdbebenopfer hier nach Deutschland zu Verwandten kommen können. Doch die Hürden sind einfach zu hoch, es wird sehr viel Papierkram verlangt. Die Menschen haben alles unter den Trümmern verloren. Und nichts ist Mithelfen Pro Humanitate hat seit 1996 zahlreiche Projekte im Kurdengebiet durchgeführt. Das Hilfswerk »Franziskaner helfen« hat Pro Humanitate Köln stets dabei unterstützt, wie auch jetzt in Adıyaman. Die aktuelle Erdbebenhilfe, die wir weiterführen werden, wird auch von der franziskanischen Initiative »Vision: teilen« aus Düsseldorf unterstützt. >> pro-humanitate-koeln.de >> franziskaner-helfen.de >> vision-teilen.org Auch Ihre Spende ist willkommen. Spendenkonto Pro Humanitate: IBAN: DE78 3706 0193 0025 4350 28 BIC: GENODED1PAX Pax-Bank eG Aufgeschrieben von Jürgen Neitzert OFM organisiert, nichts funktioniert. Auch Behördeneinrichtungen sind ja beim Erdbeben häufig zusammengestürzt. Das Verfahren muss rasch vereinfacht werden. Besonders schlimm finde ich: In Syrien sind zahlreiche Städte im Krieg weitgehend in Schutt und Asche gebombt worden, und jetzt hat das Erdbeben die drei Städte Aleppo, Idlib und Afrin weiter verwüstet. Doch die betroffenen Menschen dürfen nicht zu ihren Verwandten nach Deutschland reisen, auch wenn sie Erdbebenopfer sind, weil sie aus einem Kriegsgebiet kommen. Ich finde es aus humanitären Gründen gut, dass Menschen aus der Ukraine hier aufgenommen werden, denn in ihrem Land herrscht ein schrecklicher Krieg. Doch warum gilt dies nicht für Betroffene in vergleichbaren Situationen? Wenn man in Syrien das Elend und die extreme Armut sieht, ist das unmenschlich. Die Bundesregierung muss auf die Türkei politischen Druck ausüben, damit die Grenzen zu Syrien geöffnet werden und NGOs wie wir auch dorthin unsere Hilfsgüter bringen können. Es wäre wichtig, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland auch weiterhin spendet, damit wir noch Folgeprojekte durchführen können. Denn viele dieser Menschen werden noch ein paar Jahre ohne ein festes Haus leben müssen. Und auch die Kirchen sollten in der Provinz Hatay Aufbauarbeit leisten, wo viele Christen leben, die in der Türkei grundsätzlich benachteiligt werden.«

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