Franziskaner - Frühling 2023

50 FRANZISKANER 1|2023 © MARKO DJURICA – PICTURE-ALLIANCE.COM In der Positionierung um den Krieg in der Ukraine bestimmt auch unter Pazifistinnen und Pazifisten aktuell der Begriff »Dilemma« die Diskussion. Gemeint ist eine Situation, in der sich jemand befindet, wenn er oder sie zwischen zwei in gleicher Weise schwierigen oder unangenehmen Dingen wählen soll oder muss. So beim Ringen um die Frage, wie möglichst wenige Menschen zu Tode kommen und wie sie geschützt werden können. Beide Seiten haben nachvollziehbare Argumente – die Befürworter:innen von Waffenlieferungen und auch diejenigen, die diese ablehnen. Auch ich persönlich habe den Begriff »Dilemma« des Öfteren gebraucht in der eigenen Ratlosigkeit, ob es verantwortbar ist, Menschen, die von einem Aggressor völkerrechtswidrig angegriffen werden und deren Land verwüstet wird, Waffenlieferungen zu ihrer Verteidigung zu verweigern. Versuche ich mich an der biblischen Perspektive zu orientieren, stelle ich fest, dass »Dilemma« kein biblischer Begriff ist. Er hat auch (fast) keine christliche Tradition. Im Sinne Jesu gilt: »Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein« (Matthäusevangelium 5,37). Zu dem, der ihn mit Waffengewalt verteidigen will, sagt Jesuns: »Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen« (Mt 26,52). Das Handeln Jesu ist bis zu seinem Tod am Kreuz konsequent an der Gewaltfreiheit ausgerichtet. Er fordert dazu auf, Böses nicht mit Bösem zu vergelten und dem, der mir Böses tut, keinen Widerstand zu leisten; dem, der mir auf die rechte Wange schlägt, auch die andere hinzuhalten (vgl. Mt 5,39). Ist das nun eine bloße Individualethik, eine reine Gesinnungsethik, oder lässt sich daraus auch gesellschaftliches Handeln ableiten? Lässt sich mit der Bergpredigt Politik gestalten, oder stimmt der Vorwurf des evangelischen Ethikers Johannes Fischer, der es als das »eigentliche Skandalon« betrachtet, dass man »zwischen den Fragen des Glaubens und den Fragen der (Sicherheits-)Politik nicht zu unterscheiden imstande oder willens« sei. Als Kriegsdienstverweigerer, Christ und Franziskaner sehe und befürchte ich hier eine Aufspaltung zwischen Glaube und Leben (inklusive Politik), die ich im Sinne von Mystik und Politik ja gerade überwinden will. Auch wenn angesichts all des Leids und der Gräuel durch Kriegsverbrechen oft zwei Seelen in meiner Brust schlagen, halte ich als pax christi-Mitglied an der grundlegenden Option der Gewaltfreiheit fest. Ziel muss es auch im Ukraine-Krieg sein, die Gewaltspirale zu beenden und den Konflikt auf diplomatischen Wegen zu lösen. Lieferungen von schweren Waffen werden den Krieg eher verlängern denn beenden und für weitere Verwüstungen ganzer Landstriche sorgen. In der Situation bereits eskalierter Gewalt gilt es auf der zivilgesellschaftlichen Ebene, den Opfern der Gewalt solidarisch beizustehen, sie dabei zu unterstützen, den Kriegsalltag zu bewältigen und an ihren Fluchtorten Fuß zu fassen. Auf der politischen Ebene gilt es, neben den scheinbar plausiblen Kriegslogiken auch andere differenzierte Denk- und Sichtweisen einzubringen, Alternativen aufzuzeigen, auf diplomatische Initiativen zu drängen, friedensbereite Kräfte zu unterstützen, den Frieden vorzubereiten und die Zeit nach dem Krieg zu planen, Wege der Versöhnung zu ebnen. Der »Mythos der erlösenden Gewalt« (Walter Wink) erzeugt massive Traumatisierungen. Wir erleben gerade verstärkt die Spätfolgen an der Kriegsgeneration in Deutschland. Wer um die traumatischen Folgen eines Krieges weiß, wird alles tun, um Gewalt einzudämmen und gewaltfreies Handeln zu stärken. So versuche ich mit vielen anderen, im Sinne Jesu und des Evangeliums im Herzen barfuß unterwegs zu sein – gewaltfrei, friedvoll, versöhnlich – trotz aller inneren Zerrissenheit, die bleibt. So verstehe ich diesen Kommentar nicht als die Lösung – die ich so wenig wie andere nicht habe –, sondern als Denkanstoß. Um mit einem Buchtitel von Daniela Dahn zu sprechen: »Im Krieg verlieren auch die Sieger. Nur der Frieden kann gewonnen werden«. Gewonnen werden kann nur der Friede Stefan Federbusch OFM

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