Franziskaner - Frühling 2023

7 FRANZISKANER 1|2023 Alles geregelt?! 800 Jahre franziskanische Ordensregel Im Jahr 1223 bestätigte Papst Honorius III. die Ordensregel der Franziskaner. Das 800-jährige Jubiläum ist für uns Brüder Anlass, über unser geregeltes Leben nachzudenken. Zugleich nehmen wir es als Anstoß, die Bedeutung von Regeln für jede und jeden einzelnen und für ein gutes Miteinander in den Blick zu nehmen. Was macht Regeln nötig? Was wird durch sie erst möglich? Aber auch: Wann müssen bestehende Regeln überprüft und angepasst werden? Andreas Brands OFM Ich möchte das Nachdenken über »Regeln« mit einer Geschichte aus der franziskanischen Tradition beginnen: Es ist das Jahr 1226. Franziskus liegt im Sterben. Von seinen Brüdern wird er an seinen Lieblingsort Portiunkula gebracht. Er bittet darum, dass man seine gute Freundin Jakoba, die in Rom lebt, benachrichtigt, dass sie zu ihm kommen möge. Sie solle von den leckeren Mandelplätzchen mitbringen und ebenso ein Licht für seine Sterbestunde. Man schickt also zu Jakoba, die jedoch schon aufgrund eigener Eingebung in Assisi eingetroffen war. Mit in ihrem Gepäck hatte sie Mandelplätzchen und ein Licht für Franziskus‘ Sterbestunde. Nun gab es die Regel, dass eine Frau sich nicht in der Klausur der Brüder aufhalten durfte, Jakoba und Franziskus sich jedoch noch ein letztes Mal sehen wollten. Kurzerhand wurde Jakoba zu »Bruder Jakoba«, um diesen Abschiedsmoment zu ermöglichen. Regeln nerven – sind aber nötig Regeln sollen ein gutes Miteinander ermöglichen. Regeln haben aber ein doppeltes Gesicht: Sie helfen, dass unser komplexes Alltagsleben gelingt, – und sie nerven hin und wieder, wenn sie nicht eindeutig oder nachvollziehbar sind. Im Straßenverkehr regeln die Verkehrsregeln, wer bei Begegnungen zuerst fahren darf. Ampeln gestatten die freie Fahrt oder unterbinden sie. Verkehrsschilder organisieren den raschen Fluss des Verkehrs, sie regulieren aber auch meine Geschwindigkeit und haben Einfluss auf mein Fahrverhalten. Ich stelle mir vor, dass es keine Regeln gäbe – ein gemeinsames und sicheres Vorwärtskommen wäre auf unseren Straßen undenkbar. Fazit: So einschränkend und regulierend Regeln sind, sie ermöglichen überhaupt erst die Nutzung von schnellen Fortbewegungsmitteln zur gleichen Zeit, denn ein situatives »Aushandeln« via Augenkontakt wäre nicht möglich. Regeln sind nervig – zumal wenn sie für Kinder und Jugendliche von den Eltern ausgesprochen werden. Sie stehen dem persönlichen Empfinden und Wollen entgegen. Kinder können Situationen oft nicht einschätzen und brauchen klare Direktiven, damit ihr Leben gesichert ist. Das betrifft Essen und Trinken genauso wie genügend Schlaf. Die Regeln geben die Eltern vor, kraft ihrer eigenen Autorität, und Kinder haben sie zu befolgen. Übereinstimmend sind die Bedürfnisse dabei nicht immer, sondern eher selten. Jugendliche beginnen, über Regeln zu diskutieren, stellen sie infrage, hinterfragen, möchten ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche stärker berücksichtigt wissen. Das gehört zum Erwachsenwerden dazu: aushandeln, die eigenen Spielregeln definieren. Regeln ermöglichen Leben. Regeln sind gefasste Lebensvollzüge. Habe ich ein Regularium, kann, soll, muss ich mich daran orientieren. Da steht es schwarz auf weiß – eindeutig. Verpflichte ich mich auf eine Regel, dann weiß ich, was ich zu tun habe. Für viele Menschen – damals wie heute – sind Regeln ein Geländer, an dem sie sich orientieren. Sie können aber auch zur Fessel werden. Dies gilt es immer wieder für sich selbst zu überprüfen: Wenn eine Regel etwas Gutem im Wege steht, muss man die Regel ändern oder ihre Übersetzung an eine neue Lebenssituation anpassen. Eine grundsätzliche Frage lässt sich stellen: Warum binden sich Menschen an eine Lebensregel? Orientierung und die Geländerfunktion wurden schon genannt. Vielleicht ist es auch die Angst, in der Freiheit verloren zu gehen. Aus der © PRISMA ARCHIVO – PICTURE-ALLIANCE.COM

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