Franziskaner - Sommer 2023

Franziskaner Sommer 2023 Weitere Themen: Kapitalismus und Bibel +++ Bert Gerresheim – ein franziskanisch inspirierter Künstler +++ Geistlicher Wegbegleiter www.franziskaner.de Wasser kostbar – kraftvoll – konfliktträchtig

Inhalt Der »Franziskaner« Unser Magazin für franziskanische Kultur und Lebensart erscheint viermal im Jahr und wird klimaneutral auf 100 % Recyclingpapier gedruckt. Sie können es sich kostenlos nach Hause liefern lassen. Deutsche Franziskanerprovinz Provinzialat Frau Viola Richter Sankt-Anna-Straße 19, 80538 München zeitschrift@franziskaner.de Tel.: 0 89 2 11 26-1 50, Fax: 0 89 2 11 26-1 11 Spenden zur Finanzierung dieser Zeitschrift erbitten wir unter Angabe des Verwendungszweckes »Spende Zeitschrift« auf das Konto der Deutschen Franziskanerprovinz IBAN DE49 5109 0000 0077 0244 09 | BIC WIBA DE 5W Bank für Orden und Mission bei der Wiesbadener Volksbank LINKS © KERSTIN MEINHARDT; RECHTS © HORST OSSINGER Bert Gerresheim Er wollte dem Geheimnis des Franziskus auf die Spur kommen. So hielt er sich einige Tage bei eisigen Temperaturen und ohne Essen in den Höhlen von La Verna auf, wo Franziskus die Wundmale erhielt. Aus solchen Erfahrungen schöpfte der Bildhauer Inspirationen für seine beeindruckenden Kunstwerke. Seite 31 Kapitalismus und Bibel Das wirtschaftliche Handeln hat dem Allgemeinwohl zu dienen, so die Überzeugungen der frühen franziskanischen Gelehrten. Sie entwickelten ethische Grundlagen für das Wirtschaftsleben, damit ein Leben in Würde für alle möglich würde – ein hochaktuelles Konzept für die multiplen Krisen der Gegenwart … Seite 28 4 Nachrichten und Anregungen 6 Wasser – • kostbar – kraftvoll – konfliktträchtig • Kommt die Klimakrise zu uns als Wasserkrise? • Sauberes Wasser ist keine Selbstverständlichkeit • Vom Versuch, ein Allgemeingut zu privatisieren • Kriegsursache oder Quelle von Kooperation? 23 Geistlicher Wegbegleiter 27 Fratelli tutti 28 Franziskanische Geschichte Das Kapital – Wer hat's erfunden? 31 Kunst und Kultur Bert Gerresheim – ein franziskanisch inspirierter Künstler 34 Christlich–islamisch Pilgern 36 Franziskaner Helfen Helfen bedeutet Veränderung 40 Franziskaner sein Wayne Hellmann OFMConv 42 Nachrichten und Kursprogramm 44 In memoriam 45 Bruder Rangel kocht 46 Kommentar 47 Impressum und Germanicus auf Reisen

3 FRANZISKANER 2|2023 »Wasser ist Leben …« Ein echter Ohrwurm war das: »Wasser ist Leben; Gott wird es geben …« – Immer wieder haben wir dieses Lied bei der Erstkommunionvorbereitung in Euskirchen mit den Kommunionkindern gesungen. Der Kirchenmusiker der Gemeinde hatte es eigens als Mottolied zur Erstkommunion komponiert. Die Kinder liebten es. Und weil es eine recht eingängige Melodie hatte mit einfachen Akkorden, konnte ich es auch ganz gut mit der Gitarre begleiten. »Wasser ist Leben; Gott wird es geben.« – Das leuchtet offenbar jedem Kind ein. Ohne Wasser verdursten Menschen und Tiere; ohne Wasser vertrocknen Blumen und Nutzpflanzen. Alle Geschöpfe brauchen Wasser, um leben zu können. Ich bin dankbar und froh, es tagtäglich genießen zu dürfen: als Getränk, zum Duschen und Waschen, beim Schwimmen und zu vielen anderen Gelegenheiten. Ein Blick in die Nachrichtenwelt dagegen zeigt zum Thema Wasser ein eher düsteres Bild. Da wird berichtet von Trockenheit, Dürre und der Ausbreitung von Wüsten in immer mehr Regionen der Erde; aber auch von sintflutartigen Regenfällen und Überschwemmungen – inzwischen auch in unseren Breiten. Viele dieser vermeintlichen Schicksalsschläge sind, wie wir mittlerweile wissen, menschengemacht. Überdies werden in manchen Gegenden der Welt Trinkwasserquellen privatisiert, sodass sich einige Menschen Wasser überhaupt nicht mehr leisten können. Andere wiederum verdienen sich am Verkauf des kostbaren Nass eine goldene Nase. In zukünftigen Kriegen wird womöglich um die Ressource Wasser gekämpft – wenn es bis dahin überhaupt noch sauberes Trinkwasser gibt. »Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser, gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.« – Als Franz von Assisi vor rund 800 Jahren diese Zeilen seines berühmten Sonnengesangs dichtete, da beflügelte ihn keineswegs eine naive Naturromantik. Franziskus sieht das Wasser vielmehr als kostbares Geschenk Gottes an, als Geschöpf, das in seiner Reinheit etwas durchscheinen lässt von Gott selbst. Das Wasser ist uns Menschen in seiner Geschöpflichkeit verwandt und geschwisterlich verbunden. Das wirft die Frage auf: Wie ist es bestellt um unsere Achtsamkeit im Umgang mit Schwester Wasser? Diesen und weiteren Fragen gehen die Beiträge in der vorliegenden Ausgabe des FRANZISKANER nach. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre – und erfrischende Begegnungen in diesem Sommer mit Schwester Wasser! Br. Markus Fuhrmann OFM (Provinzialminister) © R. STEFANEK – STOCK.ADOBE.COM

4 FRANZISKANER 2|2023 Elisabethfenster in Bamberg Wenn Sie in Bamberg sind, schauen Sie in der ehemaligen Spitalkirche St. Elisabeth in der Altstadt vorbei. Seit Juni 2022 befinden sich dort acht Glasfenster zum Leben der heiligen Elisabeth von Thüringen in Kombination mit den Werken der Barmherzigkeit. Die Idee dazu kommt vom Künstler Markus Lüpertz selbst. Er wurde 1941 in Liberec in Böhmen geboren. Von ihm stammen u. a. im Bundeskanzleramt in Berlin 2001 das Wandbild »Die sechs Tugenden« und die Bronze »Die Philosophin« im Foyer. »Glasfenster überschütten den Kirchenraum mit farbigem Licht. Licht, farblichtstrahlendes Licht der Fenster ist Botschaft und Verheißung. Engel betreten in diesem Licht die Erde, und Mysterien und Visionen besetzen das Haus Gottes.« (Markus Lüpertz) Nähere Informationen ▶▶ www.luepertz-fenster-bamberg.de Kirche St. Elisabeth, Obere Sandstr. 29, 96049 Bamberg Öffnungszeiten: in den Sommermonaten von 10.00 bis 18.00 Uhr Viele Orte sind von franziskanischen Gemeinschaften oder einzelnen franziskanisch inspirierten Kunstschaffenden gestaltet worden. Wir stellen sie vor … Franziskanische Orte entdecken

5 FRANZISKANER 2|2023 Kursübersicht auf Seite 43 Franziskanische Angebote Im Klostergarten auf dem Frauenberg Unter dem Motto »Alles im grünen Bereich« öffnen sich anlässlich der Hessischen Landesgartenschau fünfzehn Gärten der Fuldaer Klosterlandschaft für Besucherinnen und Besucher. Auch auf dem Frauenberg laden die Brüder und antonius zu verschiedenen Veranstaltungen in den Klostergarten ein. So werden von Mai bis September die monatlichen HOCH-OBEN-Gottesdienste im Garten stattfinden. Das inklusive Gärtnerteam von antonius bietet mehrmals einen Garten-Workshop an. Ein monatliches Mitmachgebet zum Sonnengesang für die ganze Familie wird von der Gruppe St. Klara der franziskanische Laiengemeinschaft OFS gestaltet. Von den Franziskanern organisierte Führungen durch den Klostergarten und das Kloster geben Einblicke in das Leben auf diesem besonderen Berg hoch über der Stadt. Außerdem laden Informationstafeln im Klostergarten ein, sich über die Geschichte und die heutige Nutzung dieses besonderen Stücks Erde zu informieren. Dabei öffnen QR-Codes die Tür zu den Menschen, die heute mit diesem Garten leben. Nähere Informationen ▶▶ www.fulda.franziskaner.net Mattenkapitel: Online-Teilnahme beim interfranziskanischen Treffen Das »Mattenkapitel« der Interfranziskanischen Arbeitsgemeinschaft (INFAG) findet vom 29. bis 31. Oktober 2023 statt. Für alle franziskanisch interessierten Menschen ist am Montag, dem 30. Oktober, auch eine Online-Teilnahme möglich, die folgende Programmteile enthält: 9.00 Uhr Einstieg in die Thematik 9.15 Uhr Impulsreferat zum Konzept der Wertesonne Bruder Dr. Niklaus Kuster 10.45 Uhr Workshop mit Gelegenheit zum Austausch Schwester Franziska Bruckner 14.30 Uhr Impulsreferat zur Franziskusformel Dr. Erny Gillen 16.00 Uhr Workshop mit Gelegenheit zum Austausch Schwester Franziska Bruckner 20.00 Uhr Unterhaltsames Abendprogramm Wer online teilnehmen möchte, sendet bitte eine E-Mail an: g.gehringer@franziskushaus-altoetting.de Nähere Informationen: www.franziskanisch.net Bundesfreiwilligendienst im Kloster und in der Suppenküche in Berlin Das Franziskanerkloster in Berlin-Pankow sucht ab dem 19. Oktober 2023 einen jungen Menschen, der/die als Freiwillige/r im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes für die Suppenküche und das Kloster tätig werden möchte. Die Schwerpunkte des Dienstes sind: ⎕ Präsenz an der Klosterpforte ⎕ Abholen von Spenden innerhalb Berlins ⎕ Mitarbeit in der Kleiderkammer (nach Bedarf) Freundlichkeit im Umgang mit den Menschen, Hilfsbereitschaft bei der Annahme von Spenden und klare Auskünfte bei telefonischen Anfragen sollten den Dienst auszeichnen. Voraussetzung für den Dienst bei uns ist der Pkw-Führerschein. Weitere Informationen ▶▶ www.bundesfreiwilligendienst.de Einsatzort: Franziskanerkloster, Wollankstraße 19, 13187 Berlin Kontakt/Bewerbung: Bruder Gregor Wagner E-Mail: pankow@franziskaner.de

6 FRANZISKANER 2|2023 Wasser Stefan Federbusch OFM kostbar – kraftvoll – konfliktträchtig © BRANISLAV KNAPPEK – UNSPLASH.COM

7 FRANZISKANER 2|2023 Es ist durchsichtig und schmeckt nach nichts. Es scheint nichts Besonderes und ist doch das kostbarste Gut, das wir haben: das Wasser. »Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser, gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.« So beschreibt Franz von Assisi in seinem Sonnengesang das Element Wasser. Während sich uns seine Nützlichkeit und Kostbarkeit leicht erschließen, werden die meisten mit den Begriffen »demütig« und »keusch« wenig anfangen können. Kostbar ist das Wasser, da es unser zentrales Lebensmittel ist. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Dies beginnt damit, dass alles Leben dem Urelement Wasser entstammt. Wir Menschen verbringen die ersten neun Monate unserer Existenz in der mütterlichen Fruchtblase. Einmal geboren können wir nur wenige Tage ohne Wasser überleben, da unser Körper zu rund 60 Prozent – unser Gehirn gar zu 75 Prozent – aus Wasser besteht. Ohne entsprechenden Nachschub vertrocknen wir schlicht. Rechnen wir einmal mit rund zwei Liter Wasserbedarf pro Tag, so sind dies 730 Liter pro Jahr und 58.400 Liter, die wir in 80 Jahren als Trinkwasser zu uns genommen haben. Kostbar ist das Wasser, da uns nur 0,3 Prozent der gesamten Wassermenge des Planeten als Trinkwasser zur Verfügung stehen. Würde alles Wasser der Erde in eine Badewanne passen, dann würde der erneuerbare Teil, der regelmäßig als Schnee oder Regen niedergeht, gerade einmal für einen Teelöffel ausreichen. So kostbar ist das Wasser, dass es aufgrund seiner hohen Bedeutung in allen Schöpfungsmythen eine große Rolle spielt. In allen Religionen wird das Wasser mit dem Mutterschoß in Verbindung gebracht. »Göttliche Mutter« nennen die Hindus den mächtigen Ganges. Der 4500 km lange Lebensstrom Südostasiens, der Mekong, heißt übersetzt »Mutter der Wasser«. Auch im Koran heißt es von Gott: »Wir haben alles durch das Wasser lebendig gemacht.« (Sure 21,30) Gott ist es, der »Wasser vom Himmel herabgesandt« hat (Sure 13,17). In den biblischen Büchern ist das Wasser besonders bedeutsam, da die Stämme Israels in den Anfängen Nomadenvölker waren. Die zahlreichen Brunnengeschichten spiegeln die Wüstenerfahrungen von Wasserarmut und der Abhängigkeit von Wasserstellen für Mensch und Vieh. In der Adventszeit hören wir die Einladung des Propheten Jesaja: »Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser.« (Jes 55,1) So kostbar ist das Wasser, dass auch die Beziehung zu Gott und das Glaubensleben mit entsprechenden Bildern beschrieben werden: Gott selbst ist eine Quelle lebendigen Wassers (Jer 2,13; 17,13). Seine Gnade und sein Friede sind wie erquickendes Wasser (Ps 22,2; 45,5), nach denen sich die Seele wie wasserloses Land nach dem Regen sehnt (Ps 142,6). Das Wasser ist Symbol der heilbringenden Weisheit (Sir 15,3), des Segens, der vom göttlichen Gesetz ausgeht (Dtn 31,2), des Segens der Erlösung in der messianischen Zeit (Jes 12,2 u. a.). Gleichwohl wussten die Menschen um die Bedrohlichkeit des Wassers und um seine Kraft zur Verwüstung. Davon zeugt die Erzählung von der Sintflut als Sinnbild der Vernichtung. Die biblischen Autoren deuteten die Flut als Strafe Gottes für das verwerfliche Tun der Menschen. Bis heute bleiben Naturkatastrophen ambivalent: einerseits als »natürliche« Phänomene einer evolutiven Entwicklung, andererseits als Folge menschlicher Zerstörung, wie wir sie in den Folgen des Klimawandels als Dürren und Überschwemmungen erleben. Keusch ist das Wasser im Sinne von rein, da es auch im spirituellen Bereich eine reinigende Wirkung erzielt – gemäß der göttlichen Verheißung des Propheten Ezechiel: »Ich gieße

8 FRANZISKANER 2|2023 reines Wasser über euch aus, dann werdet ihr rein.« (Ez 36,25) Das Wasser wird zum Vorausbild des endgültigen Heils. Es wird keinen Fluch und keine Dürre mehr geben. Gott wird den Regen zu seiner Zeit spenden (Ez 34,26). Die Wüste wird sich in einen blühenden Garten verwandeln (Jes 41,17–20), es werden wieder paradiesische Zustände herrschen. Gott selbst ist für den Menschen die Quelle des Lebens. Keusch ist das Wasser, insoweit ihm alle Religionen göttliche Kräfte zuschreiben. In römischer Zeit wurden jedes Jahr zu Ehren des Fontus, eines Sohnes des Janus, die Fontinales gefeiert. An diesem Tag warf man Wein, Münzen und andere Kostbarkeiten in den Tiber. Der Brauch, Münzen in den Trevi-Brunnen in Rom zu werfen, zum Zeichen der Wiederkehr, ist ein Überbleibsel jenes Wasseropfers. Das Christentum hat viele dieser Gebräuche und Orte aufgegriffen und verchristlicht. Aus den »Götzenbrunnen« wurden »Heiligenbrunnen«. Über den Quellen wurden Heiligtümer und Kirchen errichtet. So ist etwa der Paderborner Dom über den 80 sprudelnden Quellen der Pader erbaut (Pader-Born). Ähnlich ist es in Lourdes, wo das Wasser zur Segnung der Kranken genutzt wird. Keusch ist das Wasser, wenn der Täufling damit übergossen wird oder wenn der Täufling hineingetaucht wird zum Zeichen des Sterbens und Auferstehens mit Christus; wenn ihm die Schuld abgewaschen und neues Leben geschenkt wird. Denn: »Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.« (Joh 3,5) Demütig ist das Wasser, da es für uns nicht nur als Nahrungsmittel Mittel zum Leben ist, sondern ebenso Reinigungsmittel unseres Leibes, unserer Kleidung und unserer Umgebung. Wasser ist Transportmittel von Schmutz und Fäkalien und trägt als Abwasser dazu bei, dass es in unserer Nähe wohnlich zugeht. Was für uns selbstverständlich ist, ist es für Milliarden von Menschen bei Weitem nicht. 2,4 Milliarden Menschen müssen ohne Sanitäranlagen auskommen, und circa 700 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Demütig ist das Wasser, da wir es als Arbeitsmittel nutzen. Nicht nur in Form von Wasserkraft. In jedem Erzeugnis steckt Wasser. So werden für die Herstellung einer Jeans aus konventioneller Baumwolle 8.000 bis 11.000 Liter (entspricht 57 bis 78 Badewannen voll Wasser) verbraucht (Wasserfußabdruck). In einem Rindersteak von 200 Gramm auf unserem Teller stecken circa 3000 Liter Wasser (22 Badewannenfüllungen), und für die Herstellung eines durchschnittlichen Pkw werden 400.000 Liter verbraucht (2857 volle Badewannen), ohne dass der Wasserverbrauch während der »Lebenszeit« des Autos inbegriffen wäre. »Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser, gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.« Wasser: mehr als nur nützlich – Wasser: demütig, kostbar und keusch! Lernen wir es neu schätzen als Quelle unseres Lebens. Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser, gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch. Aus dem Sonnengesang des heiligen Franziskus (um 1225) © JORGE VASCONEZ – UNSPLASH.COM

9 FRANZISKANER 2|2023 Deutschland hat grundsätzlich genug Wasser. Doch nach fünf Dürrejahren sinken in manchen Teilen des Landes die Grundwasserpegel. Ist unsere Versorgung mit Trinkwasser in Gefahr? Fließendes und sauberes Wasser ist weltweit und in der Menschheitsgeschichte ein Luxusgut. Für uns ist dauerhaft zugängliches, kostengünstiges Wasser aus der Leitung eine Selbstverständlichkeit. Doch Zweifel werden wach, ob das so bleiben wird. Noch nie gab es so viele Entnahmeverbote für Oberflächenwasser wie im vergangenen Jahr. In diesem Jahr schränkten einige Kommunen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bereits im Juni die Wassernutzung deutlich ein. Tagsüber darf dort aus Flüssen, Bächen, Gräben und Teichen kein Wasser mehr entnommen werden. Viele Gärtnerinnen und Gärtner sind ratlos. Kommt bald ein Bewässerungsverbot für Trinkwasser? Die Regentonnen in ihren Gärten sind jedenfalls schon lange leer. Nach einem hoffnungsvoll stimmenden feuchten Frühjahr war dann schon der Mai zu trocken. »Wir hoffen von Woche zu Woche auf Regen, aber es kommen nur ein paar Tropfen. Oder es gibt Extremwetter mit Starkregen, der uns die Keller volllaufen lässt und den der trockene Boden nicht aufnehmen kann«, so ist es auch in eigentlich regenreichen Gegenden wie dem Taunus zu hören. Die Klimakrise wird in diesen Tagen zur Wasserkrise. Mittlerweile wird der Zisterneneinbau in vielen Neubaugebieten zur Pflicht gemacht. Eine historische Trockenperiode Die große Trockenheit ist offensichtlich. Unsere Flüsse drohen zum Rinnsal zu werden, die Felder vertrocknen mancherorts. Der nicht zur »Alarmismusfraktion« gehörende Hydrologe Dietrich Borchardt sagte im Frühsommer dieses Jahres in der ZDF-Sendung »Markus Lanz«, dass es 1,5 Jahre ununterbrochen regnen müsse, damit die Defizite der vergangenen Jahre wieder ausgeglichen seien. Das Wasser, das bisher so verlässlich aus unseren Leitungen kommt, habe – wenn es von den Wasserwerken zum Beispiel in 100 Meter Tiefe gefördert wird – etwa 100 Jahre gebraucht, um sich dort zu bilden. Wenn jetzt nur noch wenig nachkomme, werde das in einigen Jahrzehnten zum Problem, so der Professor der TU Dresden. Borchert machte deutlich, dass eine solche lange andauernde Trockenperiode wie gegenwärtig in den vergangenen 2.000 Jahren in Mitteleuropa nicht vorgekommen sei. Bei der derzeit fehlenden Bodenfeuchte, die für schlechte Ernten sorge, gehe es um die oberen zwei Meter, erklärte er in der Talksendung. Diese würden eher durch jährliche Niederschläge aufgefüllt. Aber selbst wenn nach Regenfällen die oberen dreißig Zentimeter des Bodens feucht seien, bliebe es darunter »trocken wie in der Steppe«. Ernst zu nehmende Prognosen gehen davon aus, dass möglicherweise bereits in den kommenden dreißig Jahren 30 bis 40 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland künstlich bewässert werden müssen. Gegenwärtig ist das kaum der Fall. Die große Frage wird sein, ob genug Wasser für die Landwirtschaft und die Trinkwassernutzung da ist. Kerstin Meinhardt Quelle: Statistisches Bundesamt Grundwasser 62,4 % Angereichertes Grundwasser 7,0 % Quellwasser 8,1 % Flusswasser 1,2 % See- und Talsperrenwasser 12,6 % Uferfiltrat 8,6 % Wassergewinnung in Deutschland nach Wasserarten im Jahr 2019 Wasser Kommt die Klimakrise zu uns als Wasserkrise?

10 FRANZISKANER 2|2023 In Deutschland gibt es in Sachen Landschaftswasserhaushalt große regionale Unterschiede. Zum einen verteilt sich der Niederschlag sehr ungleich. Im Voralpenraum beispielsweise ist die Menge im Durchschnitt eines Jahres viermal so hoch wie in Berlin. Zum anderen nehmen die Böden das Wasser unterschiedlich auf. Die sandigen Böden des Nordens halten es kaum. Die Gesamtmenge im Jahresdurchschnitt ist laut den Berechnungen zwar einigermaßen gleich geblieben, aber der Niederschlag sei früher gleichmäßiger verteilt gewesen. Mittlerweile habe sich die Verteilung regional und im Jahresverlauf stark verschoben. Hierzulande füllen sich die Wasserspeicher im Boden vornehmlich im Winter auf. Niederschläge in der warmen Jahreszeit verdunsten schnell, außerdem wird in der Vegetationsperiode viel Wasser durch die Pflanzen verbraucht. Die Winterdürre der letzten Jahre ist daher das viel größere Problem als die für jede und jeden offensichtliche Trockenheit des Sommers. Nationale Wasserstrategie Wasser hat eine immense Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hinzu kommt, dass im wasserreichen Deutschland Wasser nicht nur regional knapp wird, sondern zunehmend verunreinigt ist. Die Bundesregierung will deshalb die Versorgung durch die in diesem Jahr verabschiedete »Nationale Wasserstrategie« sichern. Angesichts der Klimakrise mit mehr Trocken- und Hitzeperioden soll die Versorgung mit Trinkwasser und der Schutz der natürlichen Wasserreserven über die nächsten Jahrzehnte garantiert werden. Ziel ist es, Nutzungskonflikten vorzubeugen und die Wasserinfrastruktur schrittweise zu sanieren. Die Wasserqualität soll besser werden, Rückstände wie Mikroplastik und Arzneimittelbestandteile sollen verschwinden. Für die Anpassung an den Klimawandel sind große Investitionen erforderlich, heißt es im Umweltministerium. Doch wie hoch diese sein werden und wer davon wie viel tragen soll, ist bisher unklar. Vernünftiges Handeln ohne verlässliche Zahlen? Besonders problematisch ist an allen Aussagen zum Thema Wasser, dass zunehmend die Grundlage der Prognosen infrage gestellt werden muss. Üblicherweise erfolgen Berechnungen zu Grundwasserströmungen auf der Basis von mathematischen Grundwassermodellen, mit denen Zuströmung, Entnahme, Absenkung und Neubildung von Grundwasser dargestellt werden. Doch was, wenn die Daten für solche Berechnungen ungenau oder gar falsch sind? Der Grundwasserökologe Dr. Hans Jürgen Hahn beklagt seit Längerem, dass bundeseinheitliche Daten fehlen, weil der Betrieb von Grundwassermessstellen Aufgabe der Länder sei und diese eher berechnete Daten statt realer Messergebnisse weitergeben. In Rheinland-Pfalz zum Beispiel wurden ca. 80 % der Grundwassermessstellen in den letzten 20 bis 25 Jahren aus dem Monitoring herausgenommen und die Messungen aus Kostengründen eingestellt. Weil zum Teil verlässliche Zahlen fehlen, rief die ARD im vergangenen Jahr mit dem Projekt #unserWasser! zur Citizen Science auf. Bürgerinnen und Bürger meldeten daraufhin der Wissenschaft ausgetrocknete Bäche und Seen. Der Grundwasserökologe Dr. Hahn und sein Team von der Universität Koblenz-Landau waren dankbar für die über 1.400 Meldungen und gingen ihnen im Einzelfall nach. Die Recherchen und die folgenden Auswertungen waren erschreckend: Die bisherigen Annahmen basierten meist auf falschen Hochrechnungen und haben ein unberechtigt optimistisches Bild gezeichnet. »Beim Landschaftswasserhaushalt hängt alles mit allem zusammen, und gerade die kleineren Fließgewässer, die kleinen Teiche und die Wälder sind Frühwarnsysteme, und da steht wirklich alles auf Rot«, fassen sie ihre Erkenntnisse zusammen. Konflikte sind vorprogrammiert Unsere Ernährungssicherheit ist aufs Engste mit Wasser verknüpft. In der Magdeburger und Hildesheimer Börde liegen beispielsweise besonders fruchtbare Böden, doch dies sind Gebiete, in denen Niederschläge fehlen. In Deutschland wurden in der Vergangenheit nur zwei Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche bewässert. In anderen Ländern der EU wie Spanien war das bereits in der Vergangenheit deutlich anders. Auch in Deutschland wird das künftig nötig werden, vermuten Fachleute und sagen voraus, dass Landwirtschaft als relevanter Konkurrent um das Grundwasser hinzukommt, weil das verfügbare Oberflächenwasser nicht genügen wird. Und die Bauernverbände formulieren immer deutlicher ihren Anspruch: Wenn in der Landwirtschaft nicht Grundwasser Gründe für die ansteigende globale Wasserknappheit Mineralwasserunternehmen senken den Grundwasserspiegel in einigen Regionen, indem sie zu viel Wasser abpumpen. Die Bevölkerung ist in der Folge auf das teure abgefüllte Wasser angewiesen. Dürren und Regenumverteilung werden durch die Klimakrise verstärkt.

11 FRANZISKANER 2|2023 Sind Gletscher abgeschmolzen, gibt es kaum noch Nachschub für Flüsse und Seen. Die Energienachfrage wächst: Die Atomkraftwerke in der EU benötigen ca. 2,44 Milliarden m3 Wasser pro Jahr Die Industrialisierung wächst: Prozesse wie Rohstoffgewinnung und die Weiterverarbeitung von seltenen Erden verbrauchen viel Wasser. Unsere Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit: Die Herstellung einer Plastikflasche benötigt zweimal so viel Wasser, wie sie enthält. Fleischkonsum: Zum Beispiel benötigt die Herstellung von 1 kg Rindfleisch 15.500 Liter Wasser. Ineffiziente Bewässerung und durch die Klimakrise steigender Bedarf: 70 % des Wassers weltweit werden in der Landwirtschaft verbraucht. 1/3 mehr Trinkwasser wird 2050 benötigt. Treiber sind unter anderem die stetig wachsende Weltbevölkerung, die Wirtschaft und die fortschreitende Industrialisierung von Schwellenländern. +1/3 zur Rettung der Ernte eingesetzt werden könne, stünde unsere Versorgung und mittelfristig die Ernährungssicherheit auf dem Spiel. Entnahmen aus dem Grundwasserleiter müssen behördlich genehmigt werden. Doch was vor dem Hintergrund steigender Verdunstung und längerer Dürren tatsächlich entnommen wird, das weiß niemand. »Das wird nicht erfasst«, erläutert Dr. Hahn. Den Wissenschaftler besorgt, dass auch an dieser Stelle Daten auf der Grundlage von realen Messungen allerorten fehlen: »Es wird schwer werden, ohne belastbare Zahlen zukunftsfähige Entscheidungen zu fällen.« Seine stichprobenartige Überprüfung auf Agrarflächen in der Südpfalz, auf denen Grund- und Rheinwasser verregnet wird, lassen aufhorchen. Er und die anderen Fachleute der Hochschule vermuten, dass mindestens doppelt so viel Wasser entnommen wird, wie behördlicherseits genehmigt wurde. Wasserräuber Ballungsgebiet Ein weiterer Problembereich ist der massive Wasserbedarf der großen Städte. Durch die großflächige Versiegelung und die dadurch stark eingeschränkte Grundwasserneubildung haben viele Städte Probleme. In kaum einem anderen Land Europas sind so viele Flächen versiegelt wie in Deutschland. Die Metropolregion Frankfurt braucht zum Beispiel mehr als 50 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr. Das benötigte Grundwasser wird zu einem großen Teil aus dem Umland bezogen, vor allem aus dem hessischen Ried und dem Vogelsberg. Seit Jahren beklagen die dort lebenden Menschen, dass ihnen Frankfurt im wahrsten Sinne das Wasser abgräbt. Bäche und kleine Seen, das Frühwarnsystem der Wasserwirtschaft, fallen trocken. »Es wird Zeit, dass in Frankfurt zumindest in den Neubaugebieten endlich mal Brauchwassersysteme verlegt werden, damit Quelle: Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, 2019 »Das Klimabuch – Alles was man wissen muss, in 50 Grafiken« von Esther Gonstalla

12 FRANZISKANER 2|2023 Gletscher werden verschwinden und können unsere Flüsse nicht mehr speisen, was für deren Pegel dramatisch sein wird. Immer mehr Regionen werden von sinkenden Grundwasserständen betroffen sein, dabei werden fast 70 % unseres Trinkwassers aus Grundwasser gewonnen. Trinkwasser ist bereits heute ein kostbares Gut. Die zu lösende Aufgabe lautet: Wie halten wir das Wasser in unseren Böden? Nirgends sind die Folgen fehlenden Wassers sowohl in Oberflächengewässern wie auch in der Tiefe so sichtbar wie in unseren Wäldern. Die Verteilungskämpfe ums Wasser werden unausweichlich zunehmen. Höchste Zeit, sich der täglichen Wasserverschwendung bewusst zu werden und einen anderen Umgang mit »Schwester Wasser« zu üben, wie der heilige Franziskus sie in seinem Sonnengesang nannte. Im Jahr 2020 verbrauchte jede und jeder von uns in Deutschland im Schnitt pro Tag 129 Liter. Zwei Drittel gehen für Körperpflege, Toilettenspülung und das Wäschewaschen drauf. Vor 30 Jahren war es deutlich mehr, doch in den letzten drei Jahren stieg der Verbrauch erneut an. Wir alle können unsfragen, wo im Alltag Routinen verändert oder wo eventuell sogar leicht umsetzbare Wassersparelemente eingebaut werden können. Unterm Strich haben wir in Deutschland eine hohe Wassereffizienz; unsere Trinkwasserleitungen sind sehr gut in Schuss, was in anderen Ländern mit maroder Infrastruktur deutlich anders ist. In Italien zum Beispiel geht die gleiche Menge, die bei den Wassernutzenden ankommt, unterwegs in defekten Leitungen verloren. Dennoch ist auch in einem wasserreichen Land noch »Luft nach oben«, was den Umgang mit dem kostbaren Nass betrifft. Auch Innovationen sind gefragt. Ein gelungenes Beispiel ist der Einsatz von Tröpfchenbewässerung im Wurzelbereich der Pflanzen statt künstlicher Beregnung von oben zur Hauptverdunstungszeit des Tages. »Das Gute immerhin ist, dass das Meiste, was den Landschaftswasserhaushalt betrifft, sich regional abspielt, und das bedeutet, dass wir hier auch regional eingreifen können«, hofft der Grundwasserökologe Dr. Hahn. »Wir haben Einfluss darauf, wie das Wasser in der Landschaft zurückgehalten wird, ob Wasser versickern kann, ob und in welchem Maß wir unser Grundwasser nutzen oder übernutzen, ob wir Wasser sparen.« Der Wissenschaftler ist sich sicher, dass trotz der globalen Klimakrise sehr viel durch den eigenen Umgang mit dieser Lebensgrundlage erreicht werden kann, wenn denn der politische Wille und die gesellschaftliche Bereitschaft dazu vorhanden sei. wenigstens für die Toilettenspülung oder das Rasensprengen nicht Trinkwasser bester Qualität aus dem Vogelsberg geraubt wird«, meint ein betroffener Landwirt. Mittlerweile sind die Frankfurter Wasserwerke dazu übergegangen, Mainwasser aufzubereiten und versickern zu lassen, um das Grundwasser künstlich mit Oberflächenwasser aufzufüllen, denn das Grundwasser geht auch in der Stadt selbst zur Neige. Ein Viertel des Bedarfs der Stadt wird unter dem Frankfurter Stadtwald gefördert. Die Folge: Der Grundwasserspiegel sinkt, und der Frankfurter Stadtwald stirbt – über 95 % der Bäume sind bereits stark geschädigt. Die Frankfurter Umweltdezernentin fürchtet, dass in ein bis zwei Jahren die grüne Lunge der Stadt ohne Bäume dastehen wird, mit dramatischen Folgen für das Stadtklima, die Aufenthaltsqualität in der Stadt und die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Aufgeheizte Betonwüsten werden nicht nur in Frankfurt, sondern vielerorts die Folge sein, denn für die künstliche Bewässerung von Stadtbäumen wird das Wasser fehlen. Ein anderer Umgang ist die einzige Lösung Die Klimakrise wird uns in Mitteleuropa auch künftig vor allem als Wasserkrise begegnen. Dass die Alpen und ihre dahinschmelzenden Gletscher eigentlich die Wasserversorgung Europas sind, wird oftmals übersehen. 60 % des Rheinwassers stammt aus den Alpen. Doch die Essen, Trinken 4 % Geschirrspülen 6 % Wäsche waschen 12 % Toilettenspülung 27 % Baden, Duschen, Körperpflege 36 % Raumreinigung, Garten 6 % Kleingewerbeanteil 9 % Dafür verbrauchen wir Leitungswasser Im Jahr 2020 verbrauchte jeder Haushalt in Deutschland jeden Tag durchschnittlich 129 Liter Wasser pro Person (Anteile in Prozent). Quelle: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft Zusätzlich ist in den von uns konsumierten Lebensmitteln, Kleidungsstücken und anderen Produkten indirekt Wasser enthalten, das für ihre industrielle Herstellung eingesetzt wurde. Dieses Wasser wird als virtuelles Wasser bezeichnet. Pro Person entsteht durch den Konsum ein Wasserfußabdruck von rund 7.200 Liter täglich.

13 FRANZISKANER 2|2023 Thomas Kleinveld/Thomas Meinhardt Wie wäre es, wenn Sie und ich ohne sauberes Trinkwasser oder sanitäre Einrichtungen leben müssten – und wenn es auch nur für eine Woche oder einen Monat wäre? Welche Ängste und welche Panik würde es auslösen, wenn wir keinen Zugang zu solchen Mitteln der menschlichen Grundversorgung hätten? Sich vorzustellen, so leben zu müssen, übersteigt wahrscheinlich unsere Fantasie. Und dennoch haben auch heute noch ungefähr 2,2 Milliarden Menschen – mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung – keine sichere Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Sogar 3,6 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu einer sicheren Sanitärversorgung, so der UN-Bericht über den Stand der nachhaltigen Entwicklung vom März 2023. Dabei hat die UN-Vollversammlung 2010 das Recht auf sauberes Trinkwasser zum allgemeinen Menschenrecht erklärt, und 2015 haben sich 193 Mitgliedstaaten der UN mit den nachhaltigen Entwicklungszielen verpflichtet, bis zum Jahr 2030 für sicheren Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen für alle Menschen zu sorgen (SDG 6). Tatsächlich hat sich – laut aktuellem UN-Bericht – in diesem Bereich weltweit etwas verbessert, gleicwohl ist die Weltgemeinschaft weit davon entfernt, die Zielmarke bis 2030 erreichen zu können. So stieg der Anteil der Weltbevölkerung mit einem sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser von 70 % (2015) auf 74 % im Jahr 2020. Doch noch immer haben 1,2 Millionen Menschen nicht einmal eine einfache Versorgung. Bezüglich eines sicheren Zugangs zu sanitären Einrichtungen stieg der Anteil von 2015 bis 2020 von 47 auf 54 %. Vom Mangel an sauberem Trinkwasser und nicht vorhandenen sanitären Anlagen sind besonders die Menschen in Afrika betroffen: »In Uganda haben gerade einmal sieben Prozent der Menschen Zugang zu sicherem Wasser, in Sierra Leone sind es zehn Prozent, in Äthiopien elf Prozent.« (LpB Baden-Württemberg, März 2023) Investitionen in sauberes Wasser lohnen sich – auch wirtschaftlich Der schon erwähnte UN-Bericht stellt fest: »Der universelle Zugang zu Trinkwasser, Sanitärversorgung und Hygiene ist für die globale Gesundheit unabdingbar. Um ihn bis 2030 zu erreichen, müssten die aktuellen Fortschritte um das Vierfache gesteigert werden. Würden diese Zielvorgaben erreicht, könnten jährlich 829.000 Menschenleben gerettet werden. So viele Menschen nämlich sterben derzeit jedes Jahr an Krankheiten, die direkt auf den Kontakt mit verunreinigtem Wasser, unzureichende sanitäre Verhältnisse und mangelnde Hygiene zurückgehen.« Doch es fehlt leider vielerorts am politischen Willen von Regierungen, die hierzu nötigen Investitionen zu tätigen beziehungsweise der Verschmutzungspraxis großer Chemie- und Wasser Sauberes Wasser ist keine Selbstverständlichkeit Sieben Jahre vor der UN-Zielmarke für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) 2030 © DENNIS – ADOBESTOCK.COM

14 FRANZISKANER 2|2023 Zugang zu sicher verwalteter Trinkwasserversorgung1 Anteil der Bevölkerung in Prozent im Jahr 2020 Keine Daten 51 bis 75 1 bis 25 76 bis 98 26 bis 50 99 + 1 Sicher verwaltet: verbesserte Trinkwasserquelle, die auf einem Gelände zugänglich, bei Bedarf verfügbar und frei von Verunreinigungen ist. Quelle: WHO/UNICEF JMP (2021), Progress on household drinking water, sanitation and hygiene 2000–2020: Five years into the SDGs Bergbaukonzerne und der industriellen Landwirtschaft konsequent entgegenzutreten. Zudem müssten die reicheren Industriestaaten den am wenigsten entwickelten Ländern technologisch und finanziell bei einem effizienten Wassermanagement helfen. Für eine Trendwende ist es höchste Zeit, denn Bevölkerungswachstum, Verstädterung, zunehmender industrieller Wasserverbrauch und vor allem auch die weltweite Klimaerhitzung verschärfen den Wassermangel. Diejenigen Entscheidungsträgerinnen und -träger, die durch humanitäre Argumente nicht erreicht werden, sollten vielleicht die wirtschaftlichen Vorteile überzeugen: Laut Water.org würde ein allgemeiner Zugang zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung allein durch weniger Todesfälle einen wirtschaftlichen Nutzen von über 17 Milliarden Euro bringen. Es wird geschätzt, dass jeder in Wasser und sanitäre Anlagen investierte Dollar eine volkswirtschaftliche Rendite von vier Dollar durch geringere Gesundheitskosten, höhere Produktivität und weniger vorzeitige Todesfälle bringt. El Salvador geht das Trinkwasser aus Franciscans International (FI) hat diese Probleme schon lange vor der Formulierung der Nachhaltigkeitsziele durch die UN-Mitgliedstaaten angesprochen. Trotz seiner fundamentalen Bedeutung für uns Menschen wurde das Recht auf Wasser ursprünglich nicht in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen: In den frühen 2000er Jahren war FI Teil einer Koalition, die versuchte, dies zu ändern, und auf die Anerkennung des Rechts auf sauberes Wasser und sanitäre Versorgung drängte. 2010 folgte die UN-Generalversammlung dieser Aufforderung. In den darauffolgenden Jahren arbeitete FI daran, die Möglichkeiten, die diese Anerkennung bot, auszuschöpfen: beispielsweise durch die Veröffentlichung praktischer Leitfäden, die von Gemeinden genutzt werden konnten, um von ihren lokalen Behörden bessere Versorgung zu fordern.

15 FRANZISKANER 2|2023 auch ein heiliger Ort sind. Unter Verletzung der internationalen Konventionen hat die Regierung den Bau von drei Wasserkraftprojekten genehmigt, ohne die betroffenen Gemeinden anzuhören. Kürzlich bot FI einer 16-jährigen Umwelt- und Menschenrechtsverteidigerin eine Plattform: Bei einem Treffen mit dem UN-Sonderberichterstatter für Umwelt und einigen Diplomatinnen und Diplomaten konnte sie erläutern, wie sich die Staudämme auf die Q'eqchi ausgewirkt haben, und fordern, dass Guatemala seine internationalen Verpflichtungen erfüllt, indem es der Gemeinschaft eine Stimme im Entscheidungsprozess gibt. Business as usual ist keine Option FI setzt sich auch dafür ein, dass diese Zeugenaussagen und die Probleme der Partnerorganisationen bei den Vereinten Nationen und deren Menschenrechtsexperten Gehör finden. Solche Informationen erleichtern zudem das Verständnis globaler Trends und das Erkennen von Strukturähnlichkeiten. Die von Franciscans International zur Verfügung gestellten Informationen wurden auch vom ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für Wasser genutzt, um seinen »Mega-Projekt-Zyklus« zu erstellen – ein Rahmenwerk, das Menschen und Regierungen hilft, fundierte Entscheidungen über Großprojekte zu treffen, die ihre Wasserquellen beeinträchtigen könnten. Als wesentliche Grundlage des Lebens kann die Verfügbarkeit, die Qualität und die Zugänglichkeit von Wasser die Wahrnehmung vieler anderer Menschenrechte beeinflussen. Dementsprechend hat FI Fragen im Zusammenhang mit Wasser in einer Vielzahl von UN-Debatten aufgeworfen. Trotz der von den Staats- und Regierungschef:innen im Jahr 2015 eingegangenen Verpflichtungen und der UN-Nachhaltigkeitsziele ist die Welt noch weit davon entfernt, diese bis 2030 zu erreichen. FI wird weiterhin gemeinsam mit Basisinitiativen in aller Welt die Staaten daran erinnern, dass »business as usual« keine Option ist, denn es geht hier um eine gerechtere und lebenswerte Zukunft für alle Menschen. Franciscans International (FI) ist eine Organisation der weltweiten »Franziskanischen Familie« und hat einen allgemeinen Beraterstatus bei den Vereinten Nationen. Die Nichtregierungsorganisation unterhält Büros in Genf und New York und hat Zugang zu allen wichtigen UN-Gremien. Als Anwältin für Menschenrechte bringt FI Anträge ein und unterstützt Angehörige benachteiligter Gruppen, ihre Anliegen direkt vor den zuständigen UNGremien zu vertreten. ▶▶ www.franciscansinternational.org Toilettenhäuschen in Namibia. Einen Zugang zu sicheren Sanitäranlagen haben im südlichen Afrika nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung. FI unterstützte auch die Arbeit von Schwestern und Brüdern auf nationaler Ebene, wie in El Salvador – einem Land, dessen Wasserversorgungen weltweit zu den am stärksten verschmutzten gehört und dem nach Schätzungen bis zum Ende des Jahrhunderts das Trinkwasser ausgehen könnte, wenn nicht radikale Maßnahmen ergriffen werden. Nach der Anerkennung des Rechts auf Wasser durch die Generalversammlung hat ein breiter Zusammenschluss der Zivilgesellschaft, dem auch die Franziskanische Familie angehört, eine Kampagne gestartet, um dieses Recht in die Verfassung von El Salvador aufzunehmen. Obwohl dies noch nicht geschehen ist, wurde aber immerhin 2017 ein Verbot des Metallbergbaus erlassen, der eine der Hauptquellen der Wasserverschmutzung war. So stellte der UN-Sonderberichterstatter für Umweltfragen in einem Bericht aus dem Jahr 2021 fest, dass heute Unternehmen »in hohem Maße zur Wasserverschmutzung, zur Übernutzung von Wasser und zur Verschlechterung von Süßwassersystemen beitragen«. Eine 16-jährige indigene Umweltschützerin konnte vor dem UN-Berichterstatter aussagen Dies ist auch auf den Salomoninseln im Pazifik der Fall, wo anglikanische Franziskaner den Widerstand der vom Holzeinschlag betroffenen Gemeinden unterstützen. In der Umgebung dieser Dörfer wurden die Bäche durch schwere Maschinen verunreinigt, während die durch die Abholzung verursachte Schlammmasse die Flüsse verstopfte und die Fischbestände dezimiert hat. Nachdem FI diese Probleme den Vereinten Nationen vorgetragen hatten, verpflichtete sich die Regierung, bessere Umweltschutzmaßnahmen zu ergreifen; unter anderem zum Schutz der Wasserquellen. Die Franziskaner arbeiten nun mit den Gemeinden zusammen, um sicherzustellen, dass diese Maßnahmen umgesetzt werden. In Guatemala arbeitet FI mit indigenen Q'eqchi-Gemeinschaften zusammen, für die Flüsse nicht nur eine Lebensgrundlage, sondern © F. SCHOLZ – PICTURE-ALLIANCE.COM

16 FRANZISKANER 2|2023 Wasser und Naturkatastrophen Die Zahl der Naturkatastrophen hat seit der Jahrtausendwende zugenommen. Vor allem die wetterbedingten Ereignisse – Überschwemmungen und Stürme – sind zahlreicher geworden. Fachleute führen das auf die Klimaerhitzung zurück – insofern könnte eingewendet werden, dass »Naturkatastrophe« ein beschönigender Begriff für menschengemachte Veränderungen ist. 3.254 Überschwemmungen listen die Vereinten Nationen im Zeitraum 2000 bis 2019 weltweit auf, in den zwanzig Jahren zuvor waren es mit 1.389 nicht mal halb so viele. Auch die Zahl der Stürme hat sich gewaltig erhöht seit der Jahrtausendwende. Doch die Katastrophe, von der die meisten Menschen betroffen sind, ist Wassermangel. Weltweit haben schon heute zwei bis drei Milliarden Menschen mindestens einen Monat im Jahr zu wenig Wasser zur Verfügung, heißt es im UN-Weltwasserbericht 2023. 52,7 Mio. Betroffene 17,6 Mio. Betroffene 1,1 Mio. Betroffene 0,7 Mio. Betroffene 29,2 Mio. Betroffene Dürre Sturm Flut Erdbeben Flächenbrand Informationen entnommen dem »Handelsblatt« – Infografik der Woche vom 22. März 2023, dem UN-Weltwassertag Quellen: CRED, Pacific Institut, Aon gemäß Statista Meterhoch türmt sich wenige Tage nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 im Ahrtal das, was das Wasser mitgerissen hatte, an einer Brücke bei Altenahr-Kreuzberg. Damals wurde die zerstörerische Kraft des Wassers in Teilen West- und Mitteleuropas über Nacht spürbar. Nach tagelangen, ungewöhnlich starken Regenfällen verwandelten sich träge dahinfließende Flüsse in alles mitreißende Gewalten. Bei der Flutkatastrophe starben über 220 Menschen, davon mindestens 186 in Deutschland. Zahl der von Naturkatastrophen Betroffenen im Jahr 2021 © BORIS ROESSLER – PICTURE-ALLIANCE.COM

17 FRANZISKANER 2|2023 Wasser Thomas Meinhardt In vielen Ländern des globalen Südens ist die Versorgung mit sauberem Trinkwasser für einen großen Teil der Bevölkerung nicht gesichert. Die Rohrleitungssysteme sind häufig marode oder nicht vorhanden, es fehlt an Finanzmitteln und technischem Wissen für eine effektive Wasserwirtschaft, und auch die Korruption bei schlecht bezahlten staatlichen Angestellten ist häufig ein Problem. So entschieden sich vornehmlich seit den 1990er Jahren einige Staaten, Gebietskörperschaften oder große Städte ihre Wasserversorgung an private Unternehmen zu verkaufen. Sie erhofften sich bessere Wasserqualität, die Instandsetzung der Leitungssysteme, Versorgungssicherheit und nicht zuletzt ein qualifizierteres und effizienteres Wassermanagement. Doch die Realität sah in der Regel anders aus: Private Unternehmen haben kein Interesse an langfristigen und kapitalintensiven Investitionen in das Leitungssystem – ihr Motiv ist die kurz- oder zumindest mittelfristige Gewinnerzielung für ihre Aktionär:innen. So stiegen die Wasserpreise in vielen Ländern um 400 bis 700 Prozent, was den Zugang zu sauberem Trinkwasser für ärmere Mitglieder der Gesellschaft bald unbezahlbar machte. Zudem verschlechterte sich in ländlichen Gebieten sogar die Wasserversorgung, da hier große Kapitalinvestitionen bei vergleichsweise wenigen und finanzschwachen Abnehmer:innen keine Gewinne versprachen. »Beispielsweise wurde in Bolivien vor 20 Jahren in der Region Cochabamba das Wasser privatisiert. Es gab in den Verträgen keine Klausel, die die privaten Unternehmen verpflichtete, ländliche Gebiete zu versorgen. Die Bevölkerung sollte daher zur Benutzung von Brunnen Gebühren bezahlen. Gleichzeitig untersagten die privaten Firmen, nach Wasser zu graben. Und auch das Sammeln von Regenwasser wurde als Straftat eingestuft. (…) In der Provinz Kwazulu-Natal in Südafrika etwa konnten Anfang der 2000er Jahre lokale Gemeinden die Wassergebühren eines privaten Wasserversorgers nicht mehr bezahlen. Daraufhin schnitt ihnen dieser die Wasserversorgung ab. Als Folge starben mehr als 100.000 Menschen an Cholera, da sie verunreinigtes Wasser trinken mussten.« 1 In Deutschland ist der Versuch, die Wasserversorgung zu privatisieren, erst mal gescheitert. CDU/CSU, SPD, Grüne und Linke lehnen dies grundsätzlich ab. Dennoch gibt es in Deutschland einen wachsenden Druck, das kostbare Trinkwasser beispielsweise aus Quellen für wenig Geld abzuzapfen, um es dann in Supermärkten in Flaschen zu verkaufen oder einer anderen kommerziellen Nutzung zuzuführen. So pumpt Coca-Cola seit 2007 in Lüneburg Grundwasser ab und produziert damit Produkte des Labels »Vio«. Der Konzern fördert bereits heute mehr als viermal so viel vom Grundwasserkörper als behördlich genehmigt und will seine Entnahme noch durch einen dritten Brunnen ausweiten. Dagegen gibt es massive Proteste der lokalen Bevölkerung, die angesichts der letzten Dürrejahre und der generell angespannten Wasserversorgung in der Region Probleme mit der Trinkwasserversorgung befürchtet. Da die beschriebenen Folgen der Privatisierung der Wasserversorgung – insbesondere in den weniger entwickelten Ländern – nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel waren, haben viele Staaten mittlerweile von diesem Weg wieder Abstand genommen. Wie aber dieses zentrale Versorgungsproblem für alle Menschen lösen? Ein Weg, »der teilweise schon praktiziert wird, besteht in der Partnerschaft zwischen einer Kommune und einem privaten Unternehmen. Das private Unternehmen sorgt für eine gewisse Qualität des Trinkwassers und die Versorgung der ansässigen Gemeinschaft. Die Kommune kontrolliert diese Aufgaben.« 1 Ob ein solches Publik Private Partnership wirklich zu den gewünschten Ergebnissen führt, ist umstritten. Es könnte letztlich wegen der Unterlegenheit der kommunalen Aufsicht gegenüber den in diesem Sektor tätigen Großkonzernen ähnliche Folgen wie beim Verkauf der Wasserwerke an private Firmen haben. Grundsätzlich ist die Garantie eines Menschenrechtes eine öffentliche Aufgabe, die in staatlicher oder kommunaler Hand liegen müsste. Das würde bedeuten, dass örtliche Genossenschaften oder kommunale Institutionen technisch und finanziell in die Lage versetzt werden müssten, die Versorgung mit sauberem Trinkwasser für alle sicherstellen zu können. 1 Alle Zitate stammen aus einem Text von Elena Lindberg auf www.wir-ernten-was-wir saen.de des Umweltministeriums von Baden-Württemberg. Vom Versuch, ein Allgemeingut zu privatisieren © THOMAS TRUTSCHEL – PICTURE-ALLIANCE.COM

18 FRANZISKANER 2|2023 Wasser Interview mit Prof. Dr. Susanne Schmeier 1985 formulierte der spätere UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Gali: »Die Kriege der Zukunft werden um Wasser geführt.« Diese durchaus einleuchtende These hat sich so nicht bewahrheitet, zumindest nicht in dieser zugespitzten Form. Ist die Bedeutung von Wasser als Konfliktursache überschätzt worden? Nein, das glaube ich nicht. Aber es wurde vielleicht die Möglichkeit unterschätzt, Konflikte um Wassernutzung auch kooperativ zu lösen. Das Konfliktpotenzial besteht sicher weiterhin und hat sich auch durch den Klimawandel, die zunehmende Übernutzung von Wasserressourcen und verschiedene andere Herausforderungen noch erhöht. Gleichzeitig sind aber auch die Möglichkeiten gewachsen damit umzugehen. Allerdings sind die Kapazitäten und auch die Art und Weise der Konfliktbearbeitung in den verschiedenen Weltregionen sehr unterschiedlich. Zudem muss zwischen der internationalen Ebene – also tatsächlich zwischenstaatlichen Kriegen – und der lokalen oder innerstaatlichen Ebene unterschieden werden. Während bei Wasserkonflikten bisher so gut wie nie Kriege zwischen Staaten geführt wurden, so sieht dies auf der lokalen oder auch regionalen Ebene durchaus anders aus. Hier sehen wir in den letzten Jahren eine Zunahme an Konflikten, die teilweise – wenn auch selten – gewaltsam ausgetragen werden. Welche Rolle spielt nach Ihren Erkenntnissen der Zugang zu Wasser als Konfliktursache bei gewaltsamen Konflikten? Der Zugang zu Wasser war schon immer ein bedeutsamer Faktor. Denn: Wasser ist absolut lebensnotwendig für jeden von uns. Und mit dem zunehmenden Wasserbedarf durch Bevölkerungswachstum, wirtschaftliche Entwicklung und die Auswirkungen des Klimawandels steigen natürlich die Herausforderungen, um mit den vorhandenen Wasserressourcen die Weltbevölkerung versorgen zu können. Das wird definitiv zunehmend zum Problem. Doch ob dies auch zu mehr gewaltsamen Konflikten führt oder führen wird, ist schwer zu beantworten. Zunächst müssen wir unterscheiden, ob es sich um einen wirklichen Wasserkonflikt handelt; wo Wasser also ursächlich wäre für eine Situation, in der zwei Gemeinschaften direkt in eine gewaltsame Auseinandersetzung über Wasser geraten. Konflikte zwischen Viehhirten und sesshaften Bauern in der Sahelregion, in Mali, im Niger, im Tschad, aber auch in Ostafrika werden in diesem Zusammenhang öfter genannt. Und hier kann man in der Tat sehen, dass es häufiger zu direkten bewaffneten Auseinandersetzungen kommt. Zum Beispiel wenn Viehhirten aufgrund von Wassermangel, der mit dem Klimawandeln in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, mit ihren Herden in Gebiete von Farmern kommen und Kriegsursache oder Quelle von Kooperation? deren Felder dann von Viehherden zertrampelt werden. Dies sind oftmals aber nur lokale Gewaltereignisse. In den Fällen, in denen diese zu größeren gewalttätigen Konflikten eskalieren, kommen oft noch andere Gründe mit hinzu: In Mali, Niger und Tschad sind die Viehhirten oft Muslime und die Bauern Christen, zwischen denen es seit Langem ohnehin schon religiöse Spannungen, soziale Ungleichheiten usw. gibt. Also selbst da, wo es ganz offensichtlich zu sein scheint, dass Wasser die Konfliktursache ist, spielen immer noch andere konfliktverstärkende Faktoren hinein. In vielen anderen Situationen ist es noch komplexer. Hier sprechen wir eher von Wasser als einem Konfliktverstärker; sozusagen etwas, was wirkt, als ob man Öl ins Feuer gösse. Ich denke hier beispielsweise an den Irak. Hier bestehen massive Konflikte auf sozialer, wirtschaftlicher, politischer oder auch religiöser Ebene zwischen einzelnen Provinzen sowie zwischen regionalen Bevölkerungsgruppen und der Zentralregierung. Als es dann 2018 im Süden des Landes eine Wasserverschmutzungskatastrophe gab, weswegen Tausende von Menschen ins Krankenhaus mussten, kam es zu starken, auch gewaltsamen Protesten mit Angriffen auf Regierungsbeamte. Dies hat letztlich zum Sturz der Regierung geführt. Doch auch dies ist nur passiert, weil große Teile der Bevölkerung sich schon lange ungleich behandelt fühlten und die Wasserverschmutzungskatastrophe für sie nur ein weiterer Beleg für die Unfähigkeit der Regierung war. Und wie sieht es auf grenzüberschreitender Ebene aus? In verschiedenen Wassereinzugsgebieten in unterschiedlichen Weltregionen finden sich fast identische Ausgangssituationen, die aber gänzlich anders gehandhabt werden. Eine typische Situation ist: Ein Anrainer am Oberlauf eines Flusses baut einen Staudamm, die Unteranrainer befürchten negative Auswirkungen auf ihre Umwelt und/oder ihre wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten und damit möglicherweise auf ihre soziale und politische Stabilität. Dies führt in einigen Regionen zu problematischen Konflikten. Ich denke an den Nil, wo Ägypten damit gedroht hat, den Staudamm in Äthiopien zu sprengen. In anderen Regionen mit genau der gleichen Konstellation – etwas dem Mekong – ist es dagegen nicht zu einer derartigen Eskalation gekommen, sondern zu Abkommen über gemeinsame Nutzungen. Woran liegt es, dass Wasserkonflikte zwar konfliktverstärkend sein können, aber selten zu größeren gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt haben? Selbst wenn es bisher fast nie zwischenstaatliche Wasserkriege gab, so führen Wasserkonflikte wie beispielsweise in Zentralasien durchaus zu diplomatischen Krisen bis hin zum Ab-

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