Franziskaner - Sommer 2023

25 FRANZISKANER 2|2023 Gott Abrahams, Nacht und Wüste, Stern am Himmel, Name im Fleisch, Same im toten Schoß seiner Frau. Gott Jakobs, ringender Fremdling, Faust, die ihn schlug, blutende Wunde. Gott des Moses, brennende Stimme, Feuer am Weg, Wort als Wolke, Licht, das vorangeht, Wasser und Brot, Land der Verheißung. Gott Davids, Harfe in Händen, Lied im Munde, Liebe größer als Frauenliebe, Eckstein des Hauses, Kind seines Namens, fröstelnde Kälte in seinem Mark. Gott in Babel, Gott unnennbar, ausgestreut in der Fremde, Gott der Toten. Gott Jobs, Mann der Schmerzen, niedergetreten, ganz gestaltlos, Tropfen, Staubkorn auf der Waagschale der Welt. Gott Jesu, Schatten über ein jüdisches Mädchen. Gott nach Auschwitz, du verstreute Asche der Juden, Schmutz an den Sohlen. Gott meiner selbst, Zunge aus Schnee, Flamme Verzückung, Stimme, die mitten im Wort mir stockt, Sturm gegen mich – zärtlicher Wind, raue Gefahr lastet dein Leib quer über mich. Niemandes Gott – einfach nur Menschen –, Schritt der Jahrhunderte, erst allmählich bekannter Fremdling, du unfindbarer Stein der Weisen, du kein Gott, wie wir dich denken, Ofen der Stille, mühsamer Freund. Huub Oosterhuis »Litanei« Litanei Gott Abrahams … Gott Jakobs … Gott des Moses … Es sind Zuschreibungen an die Väter des Glaubens, die hier aneinandergereiht und ausgestattet werden. Sie bleiben nicht in alten Zeiten hängen, sondern werden weitergeführt in die jüngere Vergangenheit bis in die Gegenwart: »Gott nach Auschwitz« … »Gott meiner selbst« … bis dahin, dass sich die Gottnennung auf »Niemandes Gott« hin zuspitzt, der sich als Unbeschreiblicher erweist: »Du kein Gott, wie wir dich denken«. Die Litanei wird zu einer Kritik eines Gottes-Namens-Gebrauchs, der sich nicht zum Erfüllungsgehilfe unserer Wünsche eignet. Die Litanei ist eine verdichtete Aneinanderreihung verschiedener Aspekte dieses Gottes. Im Aufzählen seiner vielfältigen Erscheinungsformen entzieht er sich unserer Verfügungsgewalt. Oosterhuis macht in seinen Gebeten deutlich: Der Gott Israels ist anders als alle anderen Götter: Er zwingt nicht – schon gar nicht in Sprachhülsen und Formen. Er ist Weite und Befreiung. Man kann ihm gegenüber so sprechen, wie einem der Schnabel gewachsen ist, kann seinen Gefühlen Luft machen, und man kann und darf ausfällig werden. Beim Beten braucht man nichts zu verschweigen, schon gar nicht das Unangenehme. Der Gottesname wird in dieser Litanei Oosterhuis‘ zu einem echten Namen, zu einem, der mir bis heute und bis in mein eigenes Leben hinein etwas zu sagen hat. Beten in diesem Sinne heißt: die ganze Geschichte mit uns Menschen erinnern. Zum Nachdenken • An welchen biblischen Personen oder biografischen Momenten mache ich Gott fest? • Wie ist Gott für mich, wenn er anders ist, als wir ihn denken? AUGUST

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