30 FRANZISKANER 2|2023 lebenswert macht und die Ausrichtung der Individuen und der Gesellschaft auf das Allgemeinwohl und im Letzten auf Gott, das höchste Gut, fördert. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde durch den Franziskaner Petrus Johannis Olivi der Begriff des Kapitals genauer definiert. Kapital ist der Gebrauch des Geldes im Zusammenspiel mit Arbeitsleistung, Bildung, Ressourcen, Zeitaufwand …, um einen potenziellen Gewinn in der Zukunft zu erwirtschaften, der wieder eingesetzt wird, um den allgemeinen Wohlstand zu fördern, Arbeitsplätze zu schaffen und eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Ein solcher Kapitaleinsatz setzt jene Haltung der Freigebigkeit voraus, die nicht nur an sich selbst denkt, vielmehr den eigenen Gewinn in verantwortlicher, uneigennütziger Weise zum Wohl aller Mitlebenden erwirtschaftet und wieder einsetzt. Ein solches Tun ist die dem freien Individuum geziemende Denk- und Handlungsweise, die das wirtschaftliche Handeln zu einem wichtigen Element der Gestaltung einer universalen Geschwisterlichkeit werden lässt. Der Glaube dieser Franziskus und Klara folgenden Generationen wurde so zur gestalterischen Kraft der aufblühenden mittelalterlichen Wirtschaft. In der Nachfolge des Ordensvaters Franziskus und dessen Hören auf das Wort der Heiligen Schrift wurden von den mit der Wirtschaftsethik beschäftigten Brüdern konkrete Bibeltexte auf die Herausforderung des Marktgeschehens hin ausgelegt. Dabei standen besonders Texte aus dem Lukasevangelium im Mittelpunkt. Ein Schwerpunkt wurde auf die Interpretation von Reichtum und Besitz durch die Erzählung vom »Reichen und dem armen Lazarus« gelegt (Lk 16,19–33). Aus diesem Text wurde die soziale Verpflichtung des Reichtums abgeleitet und verdeutlicht, dass die Art und Weise des Umgangs mit Geld und Besitz in dieser Welt eine Voraussetzung für die Erlösung ist. Eine Haltung der Genügsamkeit und die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Diese soziale Verpflichtung des Reichtums erschöpft sich nicht im Almosengeben. Vielmehr muss dem Armen Name und damit Würde sowie eine Lebensgrundlage gegeben werden. Die Verwendung des Geldes wurde dann im Lichte der Parabel vom anvertrauten Geld (Lk 19,11–27) beleuchtet. Wem Geldvermögen anvertraut ist, der darf dieses nicht vergraben, sprich: nicht horten. Das Geld muss zum Fortschritt aller zirkulieren, das heißt den Handel beleben, um Arbeitsplätze zu schaffen und den allgemeinen Wohlstand zu fördern. Dass Geld und andere Vermögenswerte nicht gehortet werden dürfen, wurde auch durch das Zitat aus dem Matthäusevangelium (6,19–21) »Sammelt Euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören …, sondern sammelt euch Schätze im Himmel« unterstrichen. Durch die Schriftlesung und -interpretation kristallisierte sich immer mehr eine Haltung der Genügsamkeit heraus, die im Gegensatz zu unnötigem Überfluss, Luxus auf Kosten anderer und der Verschwendung von Gütern und Ressourcen stand. Eine Lebensweise der gelobten Armut für die Ordensbrüder und -schwestern sowie der Genügsamkeit für die »Weltleute« wurde unter anderem aus der Aussendung der Jünger als Friedensboten ohne Geld- und Vorratstasche (Lk 10,1–9; Mt 10,5–15) hergeleitet. Ein Lebenswandel der Genügsamkeit wurde als Grundlage des sozialen Friedens betrachtet, da die Erfahrung zeigte, dass die private Anhäufung von Überfluss zu Neid, Streit und auch zu Kriegen führen konnte. Als größte Gefahr und Ausdruck der menschlichen Ursünde wurden daher Profit- und Raffgier angesehen; vor allem auch wenn sich solche Gier unter einem spirituellen, religiösen Deckmantel verbarg. Einen Lebensstil der Genügsamkeit zu verwirklichen, wurde als grundlegende Lebensform der auf Franziskus und Klara zurückgehenden »Minoritas« angesehen. Durch die Genügsamkeit sollte die Mahnung des Franziskus, »das Geld Gottes« (gemeint sind die materiellen und spirituellen Gaben, durch die die Menschen beschenkt werden und die das Leben erhalten) in Dankbarkeit zurückzuerstatten, verwirklicht werden. Diese Genügsamkeit verband sich, wiederum auf der Basis biblischer Texte, mit sozialen Forderungen. Eine der wichtigsten war die Forderung nach einer gerechten und angemessenen Bezahlung der Arbeit. Der Lohn oder das Entgelt für eine geleistete Arbeit sollte einen würdigen Lebensstandard eines Arbeiters und seiner Familie ermöglichen. Daher war eine entsprechende Entlohnung bei der Preis- und Gewinnkalkulation zu berücksichtigen. Biblisch begründet wurde dies mit dem Wort Jesu aus der Sendungsrede: »Denn, wer arbeitet hat ein Recht auf seinen Lohn« (Lk 10,7; Mt 10,10). Darüber hinaus sollte den Armen ermöglicht werden, nicht nur auf Almosen angewiesen zu sein, sondern sich selbst ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. So wurde das Almosengeben der Reichen zwar als karitative Geste gewürdigt, aber durchaus kritisch gesehen. Wiederum war es ein biblischer Text – die geringe Gabe der Reichen aus ihrem Überfluss und die großzügige Gabe der armen Witwe (Lk 21,1–4) –, der die kritische Betrachtung von Almosen begründete. Almosen mögen den momentanen Hunger stillen, aber sie verändern nicht die ungerechte soziale Situation. Doch gerade darum ging es, im Hören auf das Wort Gottes die soziale Gerechtigkeit durch entsprechende ethische Regeln des Wirtschaftens zu verwirklichen. Johannes-Baptist Freyer OFM
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