Franziskaner - Sommer 2023

41 Am letzten Tag des Konzils bin ich sehr früh aufgestanden und habe mich im Habit in den Petersdom geschlichen und in einem Beichtstuhl versteckt. Als die Türen zur Messe geöffnet wurden, bin ich wie selbstverständlich auf den Petersplatz hinaus und habe mich, keine fünf Meter vom Altar entfernt, auf einen Stuhl gesetzt. Als Papst Paul VI. am Ende der Messe mit großer Geste die Worte sagte: »Ite, missa est" (Geht, ihr seid gesandt), hat es mich mitten ins Herz getroffen. Plötzlich wusste ich, das sollte mein Leben sein. Das war mein Auftrag: go! Gehe und erzähle der ganzen Welt die gute Nachricht! Auf Wunsch meines Provinzialministers bin ich nach meiner Priesterweihe zunächst jedoch nicht nach Amerika zurückgekehrt. Ich sollte direkt ein Promotionsstudium anschließen. Mein gewähltes Thema war eine Forschung über den großen franziskanischen Theologen Bonaventura. Ein Experte für dieses Thema war in Tübingen Professor Joseph Ratzinger. Und so fuhr ich nach Deutschland, um mit ihm über eine Begleitung im Studium zu sprechen. Nach einigen gemeinsamen Tagen an der Universität hat er mir abends bei einem Bier geraten, doch lieber nach München zu gehen. Und so lernte ich Deutsch und promovierte fünf Jahre an der Ludwig-Maximilians-Universität. Um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren, arbeitete ich als Kaplan für die amerikanischen NATO-Soldaten vor allem in Garmisch und Oberammergau. Zuvor in den USA und auch in Rom habe ich sehr behütet gelebt. Daher war die Eigenständigkeit in München, zum ersten Mal komplett außerhalb von Familien- und Ordensstruktur, eine großartige Lebenserfahrung für mich. Ich wäre gerne in Deutschland geblieben, aber mein Provinzialminister war sehr deutlich in seinem Brief, in dem er mir zur Promotion gratulierte, aber auch schrieb: »Get your ass back!« Zurück in den USA kam ich 1973 als Junior Professor an die Universität in Saint Louis. Ich fing an, franziskanische Theologie zu lehren und auch als Ausbildungsleiter für die jungen Brüder da zu sein. Gleichzeitig war ich sehr schnell in der ganzen US-amerikanischen franziskanischen Ordenslandschaft gefragt. Ich wurde oft eingeladen, um bei Kapiteln Impulse zu geben und Studientage abzuhalten. Aber die Orden hatten auch Missionen, und so kam ich auf die Philippinen, nach Sambia und an viele andere Orte auf allen sechs Kontinenten, um Vorträge zu halten. So hatte ich Gelegenheit, in vielen Ländern und in einer Reihe von Ordensgemeinschaften Freundschaften zu schließen und zahlreiche Menschen zu begleiten, die mir über die Jahre ans Herz gewachsen sind. Ich sehe mich selbst schon lange als ein Bruder des Ersten Ordens. Die Unterschiede zwischen Franziskanern, Minoriten und Kapuzinern sind für mich verschwommen. Auch die Beziehungen zu den Klarissen und den Franziskanerinnen sind für mich seit Jahren selbstverständlich, freundschaftlich und tief. Itineranz bedeutet für mich, auch innerhalb der franziskanischen Welt unterwegs zu sein und mich nicht nur auf die Franziskaner-Minoriten zu beschränken. Vor Kurzem war ich wieder in Asien, in Singapur, Borneo und Malaysia, eingeladen, Lehrveranstaltungen zu den franziskanischen Quellen zu halten. Hier hat mich die große Anzahl junger Männer und Frauen erstaunt, begeistert hat mich ihre Freude am Evangelium Jesu und ihre Beschäftigung mit den franziskanischen Quellen. Wenn ich zurückschaue auf meine letzten 50 Jahre im Orden und an der Universität, dann bin ich besonders stolz und dankbar für Tausende Studierende, Männer und Frauen, denen ich mein Wissen weitergeben durfte. Sie nehmen das Erbe an, studieren weiter die Quellen und entwickeln daraus neue Ideen. Am 21. Dezember 2017, dem Tag unseres goldenen Jubiläums, war ich in Rom verabredet mit der Gruppe meiner Mitbrüder, die zusammen mit mir 1967 zu Priestern geweiht wurden. Einer aus der Gruppe hatte gute Beziehungen und konnte arrangieren, dass wir zusammen mit Papst Franziskus eine persönliche Messe feiern durften. Anschließend hat mich Franziskus beiseitegenommen und gefragt: »Was hast du in diesen fünfzig Jahren gemacht?« Wir haben kurz gesprochen, und er hat meine Hände gehalten, mir in die Augen geschaut und sich bei mir bedankt. Wow! So hat sich für mich in Rom ein Kreis geschlossen: von Papst Paul VI., der mich ausgesandt hat über die Studienberatung des späteren Papstes Benedikt XVI. zu Papst Franziskus, der mir nach 50 Jahren gedankt hat. Ich hoffe, alle diese Meilen, um die gute Nachricht des Evangeliums zu erzählen, waren immer im Geist des heiligen Franziskus.

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