Franziskaner - Sommer 2023

7 FRANZISKANER 2|2023 Es ist durchsichtig und schmeckt nach nichts. Es scheint nichts Besonderes und ist doch das kostbarste Gut, das wir haben: das Wasser. »Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser, gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.« So beschreibt Franz von Assisi in seinem Sonnengesang das Element Wasser. Während sich uns seine Nützlichkeit und Kostbarkeit leicht erschließen, werden die meisten mit den Begriffen »demütig« und »keusch« wenig anfangen können. Kostbar ist das Wasser, da es unser zentrales Lebensmittel ist. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Dies beginnt damit, dass alles Leben dem Urelement Wasser entstammt. Wir Menschen verbringen die ersten neun Monate unserer Existenz in der mütterlichen Fruchtblase. Einmal geboren können wir nur wenige Tage ohne Wasser überleben, da unser Körper zu rund 60 Prozent – unser Gehirn gar zu 75 Prozent – aus Wasser besteht. Ohne entsprechenden Nachschub vertrocknen wir schlicht. Rechnen wir einmal mit rund zwei Liter Wasserbedarf pro Tag, so sind dies 730 Liter pro Jahr und 58.400 Liter, die wir in 80 Jahren als Trinkwasser zu uns genommen haben. Kostbar ist das Wasser, da uns nur 0,3 Prozent der gesamten Wassermenge des Planeten als Trinkwasser zur Verfügung stehen. Würde alles Wasser der Erde in eine Badewanne passen, dann würde der erneuerbare Teil, der regelmäßig als Schnee oder Regen niedergeht, gerade einmal für einen Teelöffel ausreichen. So kostbar ist das Wasser, dass es aufgrund seiner hohen Bedeutung in allen Schöpfungsmythen eine große Rolle spielt. In allen Religionen wird das Wasser mit dem Mutterschoß in Verbindung gebracht. »Göttliche Mutter« nennen die Hindus den mächtigen Ganges. Der 4500 km lange Lebensstrom Südostasiens, der Mekong, heißt übersetzt »Mutter der Wasser«. Auch im Koran heißt es von Gott: »Wir haben alles durch das Wasser lebendig gemacht.« (Sure 21,30) Gott ist es, der »Wasser vom Himmel herabgesandt« hat (Sure 13,17). In den biblischen Büchern ist das Wasser besonders bedeutsam, da die Stämme Israels in den Anfängen Nomadenvölker waren. Die zahlreichen Brunnengeschichten spiegeln die Wüstenerfahrungen von Wasserarmut und der Abhängigkeit von Wasserstellen für Mensch und Vieh. In der Adventszeit hören wir die Einladung des Propheten Jesaja: »Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser.« (Jes 55,1) So kostbar ist das Wasser, dass auch die Beziehung zu Gott und das Glaubensleben mit entsprechenden Bildern beschrieben werden: Gott selbst ist eine Quelle lebendigen Wassers (Jer 2,13; 17,13). Seine Gnade und sein Friede sind wie erquickendes Wasser (Ps 22,2; 45,5), nach denen sich die Seele wie wasserloses Land nach dem Regen sehnt (Ps 142,6). Das Wasser ist Symbol der heilbringenden Weisheit (Sir 15,3), des Segens, der vom göttlichen Gesetz ausgeht (Dtn 31,2), des Segens der Erlösung in der messianischen Zeit (Jes 12,2 u. a.). Gleichwohl wussten die Menschen um die Bedrohlichkeit des Wassers und um seine Kraft zur Verwüstung. Davon zeugt die Erzählung von der Sintflut als Sinnbild der Vernichtung. Die biblischen Autoren deuteten die Flut als Strafe Gottes für das verwerfliche Tun der Menschen. Bis heute bleiben Naturkatastrophen ambivalent: einerseits als »natürliche« Phänomene einer evolutiven Entwicklung, andererseits als Folge menschlicher Zerstörung, wie wir sie in den Folgen des Klimawandels als Dürren und Überschwemmungen erleben. Keusch ist das Wasser im Sinne von rein, da es auch im spirituellen Bereich eine reinigende Wirkung erzielt – gemäß der göttlichen Verheißung des Propheten Ezechiel: »Ich gieße

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