Franziskaner Mission 1 | 2020

FM: Wie erlebst Du als Franziskaner den Populismus derzeit? Rodrigo: Brasilien erlebt zurzeit einen Populismus und zwar einen Rechtspo- pulismus. Damit stehen wir nicht allein. Global gesehen – in Zeiten der »Post- wahrheit« – gibt es leider immer mehr populistische Regierungen. Im Fall des brasilianischen Präsidenten Jair Bolso- naro sieht man eine eindeutige Tendenz zum Nationalismus und Moralismus. Er kritisiert die politischen und wirtschaftli- chen Eliten als korrupt und manipulativ und klagt sie an, aus Egoismus und Gier das Volk in Armut und Elend zu halten. Für Bolsonaro gehören diese Eliten alle- samt zum linken Politspektrum. Sie wer- den wegen ihrer unmoralischen Ziele als eine Gefahr für Gesellschaft und Familie eingestuft: Legalisierung von Drogen, gleichgeschlechtliche Ehen, Freigabe von Abtreibung, Überbewertung von Minderheiten und so weiter. Für Popu- listen ist die Welt ein Chaos. Nach ihrer Meinung müssen wir uns vor einem solchen Chaos schützen und vor dem Staat, mit seinen Institutionen, die die- ses Durcheinander verteidigen. Damit rückt die aktuelle Regierung Bolsonaro den Staat immer näher an ultrakonser- vative und fundamentalistisch-religiöse Werte. FM: Wie ist das Verhältnis zwischen der Regierung Bolsonaro und der katholi- schen Kirche? Rodrigo: Unsere aktuelle Regierung zerstört mit systematischer Akribie die Errungenschaften seit der letzten Verfassung von 1988 in den Berei- chen Menschenrechte, Umweltschutz, Arbeitsrechte, Rentenreform, Minderhei- tenschutz und Gleichberechtigung des Geschlechts. Der Handlungsspielraum von Basisbewegungen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen oder auch von indigenen Völkern wird mehr und mehr beschnitten. Daraus resultiert ein Prozess der Kriminalisierung und nicht selten Eliminierung der Verfechter von Menschenrechten und von der Bewahrung der Schöpfung. Die Haltung unserer Kir- che ist ganz klar: Sie verteidigt alles, was die Demokratie erhalten will. Eine offene Einladung des Präsidenten, gegen das Parlament und das oberste Bundesgericht zu protestieren, wird von der brasiliani- schen Bischofskonferenz eindeutig verur- teilt: »Die Kirche wird nur die Initiativen verteidigen, die die Demokratie erhalten.« Die diesjährige Fastenaktion »Geschwis- terlichkeit und Leben – Geschenk und Verpflichtung« lädt dazu ein, das Leben in all seinen Dimensionen zu bewahren. Alle sind mitverantwortlich in der Sorge um die Gesellschaft und das gemeinsame Haus – die Schöpfung Gottes. Ohne Demokratie, Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung gibt es kein Leben! FM: Der Grund für deinen Besuch in Europa ist die Verteidigung der 272 Opfer der Staudammkatastrophe von Bruma- dinho. Welche Rolle spielte und spielt heute die brasilianische Regierung dabei? Rodrigo: Der Dammbruch eines Auffang- beckens für Reinigungsreste des geförder- ten Eisenerzvorkommens der Bergwerks- gesellschaft »Vale S.A.« in Brumadinho war in Wirklichkeit ein Verbrechen aus Fahrlässigkeit der genannten Firma. Das deutsche Unternehmen »TÜV Süd« ist Teil der Katastrophe, wohl aber auch des Verbrechens, da es kurz zuvor noch ein Zertifikat für die Stabilität des Damms INTERVIEW: Rodrigo de Castro Amédée Péret ofm | FOTOS: FM-Archiv Rodrigo de Castro Amédée Péret ofm engagiert sich seit 1981 im franziskanischen Dienst für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. In den letzten acht Jahren konzentrierte er sich auf das Thema Bergbau in Brasilien und weltweit. Wegen der Dammbruchkatastrophe Anfang letzten Jahres in Brumadinho (Bundesstaat Minas Gerais) begleitete der Franziskaner den für die Katastrophenregion verantwortlichen Weihbischof von Belo Horizonte, Dom Vicente de Paula Ferreira cssr, vom 25. Februar bis 11. März dieses Jahres durch verschiedene europäische Städte, um den Familien der 272 Opfer eine Stimme zu geben und deren Suche nach Gerechtigkeit zu unterstützen. Rechtspopulismus in Brasilien Interview mit einem franziskanischen Aktivisten Augustinus Diekmann ofm mit Bruder Rodrigo und Bischof Dom Vicente nach einem Gottesdienst in Dortmund (v.l.n.r.) 12

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