Franziskaner Mission 1 | 2020

Die bekannte Shell Jugendstudie, die untersucht, wie die Generation der 12- bis 25-Jährigen in Deutschland aufwächst und was sie über ihre Zukunft denkt, hat in ihrer Umfrage von 2019 auch Fragen zum Gedankengut des in Europa erneut wachsenden Populismus gestellt. Auf Grund dieser Umfrage von 2.572 Jugendlichen identifiziert die Studie 24 Prozent als Populismus-Geneigte und bezeichnet neun Prozent als Nationalpopulisten. Dabei stellt die Studie fest, dass den populistischen Statements der Jugendlichen gemein ist, »dass sie gezielt an affektiven Komponenten und weniger an kognitiv reflektierten Positionen ansetzen. Bedient werden Ressentiments und Ängste.« Als Ursachen werden die subjektive Erfahrung von sozialer Un- gerechtigkeit, die Verunsicherung durch Pluralität und Vielfalt, die Ablehnung fremder Kulturen, die Unzufriedenheit mit der Parteien-Demokratie sowie der Wunsch nach Rückgewinnung der Kontrolle über das eigene Leben und die Zukunft genannt. Universale Welt Populistische Kreise bieten solchen Jugendlichen eine Gemeinschaft, die Sicherheit durch Abgren- zung und Partikularismus und eben nicht durch Universalismus garantieren will. Als eine spezifische Art des Denkens und Handelns (»forma mentis«, cf. Arato), die sich auf diese verschworene und oft auch völkisch geprägte Gemeinschaft bezieht, werden die Gewohnheiten der Gefolgsleute prag- matisch ausgerichtet. Dazu gehört eine identitäts- stiftende Strategie, die ein Zugehörigkeitsgefühl im Sinne von Beheimatung vermitteln soll. Dabei werden gerade auch soziale Aspekte in den Blick genommen und politische Reformen des Systems angestrebt. Notwendige Umgestaltungen werden vielfach mit Ideen des Klassenkampfes und auch mit konspirativen Theorien untermauert und mit der Notwendigkeit, die »reine Kultur« zu schützen oder wiederherzustellen, begründet. Für eine Bewahrung der eigenen Lebensart werden durchaus Tugenden wie Tüchtigkeit, Vaterlandsliebe, täglicher Herois- mus, Gemeinschaftssinn und anderes eingefordert. Angesichts der Herausforderungen der globalisierten Welt und beunruhigt durch wirtschaftliche und politische Entwicklungen wenden sich viele Menschen in Europa Bewegungen zu, die Formen des Populismus zur Lösung der Probleme wiederbeleben. Die franziskanische Bewegung, geprägt durch den Geist von Franziskus und Klara von Assisi, möchte sich diesen Herausforderungen in einer optimistischen Haltung der freimütigen Offenheit und Großzügigkeit stellen. TEXT: Johannes B. Freyer ofm | ILLUSTRATION: FM-Archiv »Unser Kloster ist die Welt« Franziskanischer Universalismus Deutlich wird durch die Studie, dass hinter den allgemeinen populistischen Ansichten durchaus lebensnotwendige Forderungen stehen – wie die menschliche Notwendigkeit, eine Identität zu finden, das Bedürfnis nach Anerkennung, die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, der Wunsch nach Beheimatung und die Forderung einer nach menschlichen Möglichkeiten gesicherten Zukunft. Ob diese Grundbedürfnisse des menschlichen Lebens jedoch durch aggressive Abgrenzung, die Errichtung von Feindbildern, demokratische Unordnung, Simplifizierungen und dem Vertrauen auf Fake-News befriedigt werden können, bleibt mehr als fraglich. Denn es wird für die eigene Gesinnungsgruppe von populistischen Wortführern das eingefordert, was allen, die eben anders denken oder anders sind, abgesprochen wird. Identität, Anerkennung, Beheima- tung und eine gemeinsame Zukunft sind allerdings nur im Miteinander und nicht im Gegeneinander zu finden. Dies mag schon früher in einem kleineren und auch national beschränkteren Raum gegolten haben, ist aber heute angesichts der globalen und weltumfassenden Zusam- menhänge zu einer neuen Herausforde- rung geworden. Ob wir es wollen oder nicht, wir leben in einer gewandelten pluralistischen und universalen Welt. Dass diese andere Welt auch in unsere beschränkte Welt einbricht, wird für viele zur Überforderung. Sie fühlen sich einer unabsehbaren Zukunft aus- geliefert. Es mag noch nachvollzieh- bar sein, dass da mancher nach dem Strohhalm einer Gesinnung greift, die eine sichere, begrenzte und mehr oder weniger »heile Welt« verspricht. Bedin- gungslos unterstützenswert ist dies aber nicht. 6

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