Franziskaner Mission 1 | 2021

verheiratet. Dann muss das junge Mäd- chen aber starke Belästigungen in Kauf nehmen, wenn zum Beispiel die Mitgift nicht groß genug war oder sein konnte. Später muss es aber auch Gewalt in der Ehe ertragen. Wenn ein Mädchen sich als junge Frau verwirklichen möchte, wird ihr Ver- gewaltigung angedroht, und falls sie sich weigert zu heiraten, dann kann es zu einem Säureangriff kommen. Eine Frau hat kein Recht, ihren eigenen Lebens­ partner zu wählen. Wenn sie dies trotz- dem tut, ist ein »Ehrenmord« möglich. Wenn eine Frau Mutter wird, muss sie zu Hause bleiben, um sich um Kind und Ehemann sowie um ihre Schwiegereltern zu kümmern. Sie kann nicht zur Arbeit gehen. Falls sie doch arbeiten geht, wird sie diskriminiert, in Bezug auf Beschäftigung, Arbeitszeit und Einkommen. Bis zum Ende ihres Lebens ist sie mit häuslicher Gewalt, sexuellem Missbrauch, Belästigung und Gesundheitsproblemen konfrontiert. Sie kommt unerwünscht auf die Erde und sie geht unerwünscht zurück. Viele Mädchen und Frauen sind Opfer der indischen Gesellschaft. Die Frau wird als Göttin verehrt und gleich- zeitig wird ihre Weiblichkeit zerstört. Die katholische Kirche in Indien setzt sich für Gleichberechtigung ein und lei- tet mehrere Initiativen, um die Lebens­ situation von Mädchen und Frauen positiv zu verändern. Sie legt Wert auf die Bildung von Mädchen, auf die Stär- kung von Frauen sowie auf angemesse- ne Gesundheitseinrichtungen. Obwohl sein Schmerz so groß und kaum auszuhalten war, blieb Jesus stehen, um Frauen zu trösten, die um ihn weinten und klagten. Trotz seiner Leiden sieht er das Leiden in den Augen dieser Frauen. Das ist seine Liebe zur Menschheit. »Herr Jesus, wir bitten dich, bleib stehen und schau (auch) das Leid und den Schmerz unserer indischen Frauen und insbesondere unserer indischen Mädchen an.« In Indien werden Frauen einer- seits wie Göttinnen verehrt, andererseits werden sie vielfach missbraucht. Das Land hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt und verändert: Früher gab es die Witwenverbrennung (eine jahrhundertealte hinduistischen Tradi­ tion, die seit 1861 verboten ist) sowie die Prostitution, in die vor allem Tempel­ dienerinnen gerieten. Dies ist heute nicht mehr verbreitet, aber es gibt neue Probleme, mit denen Frauen konfron- tiert sind. Die heutigen Probleme, die in manchen Gesellschaftsschichten – beson­ ders im ländlichen Teil Indiens – alltäg- lich sind, behindern die Entwicklung von Mädchen und Frauen und damit die Entwicklung unserer »Mutter Indien«. In vielen Teilen Indiens wird die Geburt eines Mädchens nicht begrüßt. Die Dis- kriminierung beginnt bereits vor der Ge- burt und manchmal wird ein Mädchen als Fötus getötet. Wenn das Kind es schafft, das Licht der Welt zu erblicken, wird ein Mädchen im schlimmsten Fall umgebracht. Wenn es wider Erwarten überlebt, wird es bereits als kleines Kind Die missbrauchten Göttinnen Bei uns in Chennai leiten wir Frauen- gruppen, in denen christliche, hindu­ istische und moslemische Frauen ge- meinsam ihr Leben reflektieren und Programme zum Schutz und zur Weiter- bildung von Frauen entwerfen. Die Akti- vitäten der Christinnen und Christen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Frauenförderung werden aber häufig von den örtlichen Behörden behindert. Die soziale Situation Indiens hat immer noch großen Einfluss auf die Position der Männer in der Kirche. Frauen werden beispielsweise im Pfarr- gemeinderat nicht gleichberechtigt eingebunden. Selbst Ordensschwestern sind innerhalb ihrer Tätigkeiten in einer Pfarrei sehr eingeschränkt. Auch in der indischen Kirche herrscht noch die Ein- stellung, dass Frauen den Männern zu dienen haben. Wir Franziskaner versuchen, dem entgegenzuwirken. Die Kirche braucht respektvolle Beziehungen zwischen Männern und Frauen, partnerschaftliche Mitarbeit in der Kirche, Teilhabe an Entscheidungsfindungen und Sensibilität für das andere Geschlecht. TEXT: Joseph Raj ofm | MALEREI: Roy M. Thottam SJ Der Autor Joseph Raj ist Leiter von »Nesakkaram-Seeds« – Hilfe für Straßenkinder und ihre Mütter aus den Slumvierteln der Millionenstadt Chennai – in Tamil Nadu, Indien. Übersetzung aus dem Englischen: Alfons Schumacher ofm Weitere Informationen: www.planet-wissen.de/kultur/asien/indien/ pwiefraueninindien100.html Herr, Sohn Gottes, Du bliebst stehen, um die weinenden Frauen Jerusalems anzusehen, lass auch uns innehalten und in die Augen unserer Frauen schauen. Wie Du Frauen respektiert und geehrt hast, lass auch uns den Frauen unserer indischen Gesellschaft Respekt und Ehre erweisen. Amen. 22 | 23

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