Franziskaner Mission 1 | 2021

Wege zum Anderen/ Aufgefangen Begegnung ereignet sich manchmal im Unscheinbaren. Zur Begegnung gehört Berührung. Einander berühren – im Herzen berührt sein. Wo Berührung geschieht, hilft man einander, richtet sich gegenseitig auf, fängt sich auf und gibt einander Halt in Sorgen, Ängsten, Nöten und Trauer. Wo Berührung geschieht, können wir unsere Masken fallen lassen, bricht die Fassade auf, man kann Unerwartetes entdecken. Wo Berührung geschieht, nehmen wir einander wahr, geht keiner verloren und vergessen. Durchkreuzte Wege Da werden Pläne durchkreuzt, Träume durchkreuzt, Hoffnung durchkreuzt. Da steht plötzlich die Zukunft in Frage, da ist ein Ziel, das Glück, Erfolg, Sicherheit versprochen hat, plötzlich unerreichbar. Durchkreuzte Wege werfen Fragen auf: Warum? War alles umsonst? Wie soll es weitergehen? Hindernisse, die unsere Wege durchkreuzen, zwingen zum Innehalten. Und zum Nachdenken. Wie wichtig ist mir dieses Ziel? Ist es das richtige Ziel für mich? Ist es das Ziel wert, dafür zu kämpfen? Und wenn es wichtig ist: Welche anderen Möglichkeiten gibt es, dieses Ziel zu erreichen? Bin ich eigentlich auf einem guten Weg? Oder gehe ich nur den Weg des geringsten Widerstandes? Muss es der bequemste und schnellste Weg sein? Oder eröffnen Umwege neue Perspektiven? Hätte ich früher erkennen können, dass der bisherige Weg eine Sackgasse ist? Wenn ich auf diese Weise Ziel und Weg infrage stelle, stelle ich mich selbst, mein Leben, infrage: Wer bin ich? Was ist für mich der Weg zum Leben? Diese Fragen führen in die Tiefe. Innehalten an den Kreuzungen des Lebens bewahrt mich davor, im Vordergründigen und Oberflächlichen steckenzubleiben. Das Kreuz wird durchscheinend für das, was darunterliegt, für das, was trägt. Es sind gerade unsere durchkreuzten Wege, in denen das Leben in all seiner Vielfalt spürbar wird. Im Augenblick der Krise – des Innenhaltens, der Besinnung können wir erahnen, was uns bewegt, was unser Leben ausmacht, was unsere eigentlichen Lebensfragen und Lebensthemen sind. Manchmal gelangen wir so zu unserer Quelle, zu unserer Stärke. Manchmal werden Wunden sichtbar, Wunden, die schmerzen und zugleich heilsam sind, Wunden, die Verkrustetes aufbrechen und so Leben ermöglichen. Durchkreuzte Wege sind beides: Krise und Chance. Der Kreis schließt sich. Das transparente Kreuz liegt über allem, was das Leben ausmacht. Im Kreuz spiegeln sich alle Farben, alles Gesagte und alles Ungesagte. Zugleich ist das Kreuz aus den Fugen geraten. Altes vergeht. Neues wird. Im Kreuz ist Leben. Die bleibende Frage an mich lautet: Welche Lebensbotschaft ist in mein Kreuz geschrieben? Die Autorin Anita Jäger ist Kunstpädagogin und freischaffende Malerin. Sie war von 1997 bis 2020 als Kunstlehrerin am Franziskanergymnasium Kreuzburg in Großkrotzenburg tätig. Informa­ tionen und Kontakt: www.atelier-blueart.de 9

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