Franziskaner Mission 2 | 2021

Wir feiern das 800-jährige Bestehen der Nicht-bullierten Ordensregel (NbReg) des heiligen Franziskus von Assisi. Dort finden wir Franziskaner den Kern unserer Spiritualität: »Und die Brüder müssen sich freuen, wenn sie mit gewöhnlichen und verachteten Leuten verkehren, mit Armen und Schwachen und Aussätzigen und Bettlern am Wege.« (NbReg IX, 2-3) Dieselbe tiefe, lebendige Erfah- rung wird auch in seinem Testament wie- dergegeben: »So hat mir der Herr, Bruder Francisco, gegeben, das Leben der Buße zu beginnen: Denn als ich in Sünde war, kam es mir bitter vor, Aussätzige zu sehen. Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt.« (Test 1-3) Option für die Armen Als Reaktion auf diese »Pro-Vokation« (»zugunsten der Berufung«) war unsere franziskanische Präsenz bereits in den frühen 1970er Jahren hauptsächlich in Pfarreien in kleinen Städten im Landes- inneren aktiv. 1971, also vor 50 Jahren, machte sich die Franziskanerprovinz vom Heiligen Franziskus von Assisi, im südlichsten brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul, auf die Suche nach erneuerter Treue zum franziskanischen Charisma und einer eindeutigen Option für die Armen. Wir zogen nach Lomba do Pinheiro, ein Stadtteil am Rande der Großstadt Porto Alegre, ein Ort mit viel Armut. Eine Infrastruktur im Gesund- heits-, Bildungs- und Sozialbereich fehlte damals fast völlig. Landlose wurden mehr und mehr durch Großgrundbesitzer und große Agrarprojekte aus dem Landesinnern vertrieben. Vor allem mit den Landlosen und Obdachlosen entstanden riesige Stadtlandbesetzungen. Das waren sehr arme Familien, mit Träumen von einem besseren Leben, in einem Umfeld von großem Elend und geprägt vom Gefühl des im-Stich-Gelassen-Werden durch den Staat. Unsere franziskanische Präsenz in diesem sozialen Brennpunkt strukturierte sich nach und nach. Wir organisierten kleine Basisgemeinden und versuchten, mit sozialer Pastoralarbeit unmenschli- ches Leben menschlich zu machen. Und genau in dieser dynamischen Nachbar- schaft siedelten wir unser Noviziat an. Wir wollten das alltägliche Leben mit den Armen teilen, als kleine Brüder unter ihnen leben und ihre schwierigen Le- benssituationen erspüren, mit Empathie und Mitgefühl. So habe ich meine Anfangsaus- bildung im Orden erlebt. In meinem Entwicklungsprozess durfte ich in diesem schwierigen sozialen Umfeld sehr viel TEXT UND FOTOS: Luciano Elias Bruxel ofm »Das Zentrum Sankt Franziskus von Assisi, zur Förderung von Kindern und Heranwachsenden (CPCA Centro de Promoção da Criança e do Ado- lescente), bedeutet mir sehr viel. Die Einrichtung und die Personen, die hier aktiv sind, vermitteln viel Liebe, viel Zuneigung für meine Kinder. Ich freue mich schon für sie, wenn ich morgens aufstehe. Dieses Projekt bringt viele Kinder von schlechten Orten an einen guten Ort. Sie dürfen viel Gutes kennenlernen und dass dieses Leben für alle gleich sein kann. Denn in vielen Lebenssituatio- nen müssen wir erkennen, dass das Leben leider nicht für alle gleich ist.« (Dafne Cristiane Gonçalves da Rosa – Mutter von zwei Kindern im CPCA). Leben umarmen Förderung von jungen Menschen im Süden Brasiliens lernen. Heute teile ich eine der vielen Präsenzen der Franziskaner, in einem Leben unter den Ver- armten, in Lomba do Pinheiro. Hier sind viele Hände am Werk: sieben Brüder und mehr als 200 Engagierte setzen sich mit den Werten der franziskanischen Spirituali- tät für die Schwächsten unserer ungleichen Gesellschaft ein. Der Geist von Assisi 1979 wurde CPCA, das Zentrum Sankt Franziskus von Assisi, zur Förderung von Kindern und Heranwachsenden, gegrün- det. Diese Einrichtung nimmt die Not der Menschen ernst. Gemeinsam suchen wir Wege, das Leid durch Engagement für die Verteidigung der Menschenrech- te sowie im Kampf um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu überwinden. Derzeit arbeiten wir Brüder am Rand von Porto Alegre, in der Pfarrei Santa 26 | 27

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