Franziskaner Mission 2 | 2021

Ich bin Bruder Itamar Pesoa Guz- mán , 23 Jahre alt und studiere Theo- logie. Mein Volk sind die Chiquitano – und unsere Kultur ist leider dabei auszusterben! Die Chiquitana-Kultur findet man hauptsächlich in den Pro- vinzen Ñuflo de Chávez, Velasco und Chiquitos im Osten Boliviens. In meiner Kultur sind die Riten der Volksfrömmig- keit gut mit der katholischen Religion verbunden. Sie zeichnet sich durch Solidarität, Arbeit, Glaube, Demut und Religiosität aus. Obwohl wir reich an Bräuchen und religiösen Traditionen sind, ist die Chiquitana-Kultur die am wenigsten bekannte Kultur Boliviens und geht leider nach und nach verloren. Denn viele Chiquitano sind vom Land in die Städte ausgewandert und verlie- ren ihre Wurzeln. Leider wird in Bolivien den westlichen Kulturen, beispielsweise den Aymara, mehr Bedeutung beige- messen und diese werden gefördert. Die Chiquitana-Kultur wird zunehmend zurückgedrängt und verwässert. Dabei stammt Boliviens Ursprung doch auch aus unserer Kultur aus den östlichen Landesteilen. Politisch gibt es keine Beteili- gung meiner Kultur. Es ist sehr bedau- erlich, dass sie in einem Land, das sich plurinational und ein Vielvölkerstaat nennt, keine Berücksichtigung findet. Dass die Chiquitana-Kultur bis heute überhaupt erhalten geblieben ist, ist der katholischen Kirche zu verdanken, die uns ihre Unterstützung anbietet, damit wir unsere kulturelle Identität behalten. Persönlich ist es für mich sehr wichtig, meine Wurzeln als Teil dieser untergehenden Kultur zu kennen. In unserer Ausbildungskommu- nität leben Brüder aus verschiedenen Teilen Boliviens zusammen. Als Bruder- schaft, voller kultureller Reichtümer, pflegen wir die Werte, die wir in unse- ren Kulturen gelernt haben. Wir können viel voneinander lernen. Ich bin Bruder Pedro Ortiz Arevalo . Ich bin 19 Jahre alt und Student der Philosophie. Wie Bruder Bladimir komme ich auch aus der Quechua-Kultur . Unsere Religion ist die katholische Religion. Unsere Kosmologie, unser Weltverständnis wurzelt aber im Bereich der Natur, der Pacha Mama! Viele Quechua denken, dass ihre Kultur zum Sterben verurteilt ist: Sie vergessen ihre Sprache und ihre Bräuche, wenn sie Spanisch sprechen. Sie schämen sich, ihre Kultur auszuleben, wenn sie sich zwischen anderen Kulturen bewegen. Dabei haben wir ein grundlegendes Ge- wicht in der Geschichte Boliviens. Wir sind sehr gut in kleinen Gruppen organi- siert, die unsere Interessen vertreten. Ich denke, die Idee des pluri­ nationalen Staates funktioniert insofern gut in Bolivien, weil die Menschen sich frei fühlen können, ihre Traditionen und Bräuche, ihre Religion und ihr wirtschaft- liches Denken in Wechselbeziehung zu praktizieren. Leider nehmen daran aber nicht alle Gruppen teil. Es wurde früher oft übersehen, was sie denken. Ich wünschte, dass es nicht diese Diskriminierung von Sprache und Denk- weise gibt, die uns zu einer einzigen Kultur, einem einzigen Land, vermen- gen will. Aber in den letzten Jahren hat sich dies etwas gebessert und fast jede Gruppierung hat eine gewisse Beteili- gung und stellt politische Vertreter. SIEHE AUCH MITTELSEITE  gilt, bin ich sowohl im Westen als auch im Osten aufgewachsen. Mein Vater stammt aus La Paz, meine Mutter aus Vallegrande (Provinz Santa Cruz de la Sierra). Ich habe Teile beider Kulturen übernommen, also betrachte ich mich als Mestize . Mestize zu sein bedeutet, sich nicht mit einer einzigen ursprünglichen Kultur zu identifizieren. Im Laufe meines Lebens bin ich in Kontakt mit verschiedenen Kulturen gekommen. Ich lebte in La Paz, in einem sehr kosmopolitischen Viertel. Zwar hat meine Familie hier ihre Wurzeln, aber schon meine Großeltern väterlicherseits sind Migranten sowohl vom Land als auch aus anderen Regionen Boliviens. Das eröff- net eine andere, breitere Perspektive. Mestize zu sein, hat für mich Vortei- le, weil ich Bräuche verschiedener Kulturen kennen und schätzen gelernt habe. Ob- wohl ich nicht mit Stolz sagen kann, dass ich Aymara oder Quechua oder Guarani oder Chiquitano bin, kann ich dennoch ein stolzer Bolivianer sein. Ich wünsche mir Einheit der verschiedenen Völker Boliviens. Ich sehe sie alle als Bolivianer und respek- tiere sie als solche und schätze jedes Volk, jeden Menschen mit seinen Stärken und Schwächen. Für viele, die aus indigenen Völkern stammen, hat der Mestize aber leider keine Identität. Da die Zugehörigkeit zu einer der ursprünglichen Volksgruppen bei uns sehr relevant ist, werden Mestizen leicht an den Rand gedrängt. Schlimm ist es, wenn im Namen einer ursprünglichen Kultur getarnt, eine bestimmte Doktrin auferlegt wird. Das fügt der gesamten Nation Schaden zu, da sich die Unterschiede und Spaltungen mehr vertiefen, anstatt zu verschwinden. Es tut weh, es zu akzeptieren, aber ich denke, auch innerhalb des Ordens gibt es Spannungen in Bezug auf ethnische, regionale und soziokulturelle Herkunft. Manchmal versucht man, dass der andere nachgibt und nicht man selbst zurückste- cken muss. Aber ich hoffe, dass wir uns gegenseitig respektieren, wie wir sind. Um dieses Ideal der Brüderlichkeit zu erreichen, müssen wir lernen, auf einen Teil unseres eigenen Wesens zu verzichten, ohne dabei aufzuhören zu sein, wer wir sind. Zusammenstellung und Übersetzung aus dem Spanischen: Pia Wohlgemuth Mein Name ist Rodrigo Marcelo Paz Cruz . Ich bin 44 Jahre alt, Franziska- ner und in meinem sechsten Jahr der Ordensausbildung. Obwohl ich in einer Stadt geboren wurde, die als Aymara 17

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