Franziskaner Mission 2 | 2021

Unvergessen ist der Völkermord von 1994: Nach den massiven Zerstörun- gen muss das Land dringend wieder aufgebaut werden hinsichtlich der Infrastruktur, des gesellschaftlichen und sozialen Lebens, des Heilungsprozesses unter den sozialen Gruppen und des gesamten Bildungssystems. All dies ist für einen dauerhaften Frieden und Fort- schritt im Land notwendig. Die Berufsschule in Kivumu geht auf einen Traum von Pater Vjeko Curic´ć ofm zurück, der am 31.1.1998 – vier Jahre nach dem Genozid – selbst von Unbekannten auf tragische Weise er- mordet wurde. Die nach ihm benannte Berufsschule ermöglicht Jugendlichen vom Land und aus der Stadt eine prak- tische Berufsausbildung. Die meisten Schülerinnen und Schüler kommen aus den ärmsten Familien. Wir bieten ihnen hier die Möglichkeit, ihre Talente zu entfalten, um am Wiederaufbau und an der Zukunft des Landes mitzuwirken. Unsere Schülerschaft bringt unterschiedliche Voraussetzungen mit, die für die Lehrkräfte nicht selten eine große Herausforderung sind. Aber mit einem engagierten Kollegium schaffen wir es, diesen benachteiligten Jugend­ lichen zu helfen, sich als fähige, selbst- bewusste junge Frauen und Männer zu entfalten und zu wachsen. So sind sie gut vorbereitet, ihren Platz in der Gesell- schaft einzunehmen. Ehemaliger Schüler Da ist Xavier, einer unserer ehemaligen Lehrlinge, der das Maurerhandwerk in unserer Schule gelernt hatte. Er kam ein Jahr später zum Tag der offenen Tür, um vor Eltern, Lehrkräften und der Schulgemeinde zu sprechen. Er erzählte von seinem Anfang in der Schule und bekannte, dass er mit einer sehr feind- seligen Haltung gekommen war. Denn die seelische Wunde des Völkermordes zwischen den einzelnen Ethnien war in ihm noch frisch. Aber unter Anleitung und mit Unterstützung seiner Lehrer begann er, sich gut mit seinen Kamera- den zu verstehen, und fühlte sich bald als Teil der Schulgemeinschaft. Eines Tages ging es darum, ein Bauprojekt in Uganda abzuschließen: Xavier wurde mit einigen seiner Kol- legen des ersten Ausbildungsjahres ausgewählt, um gemeinsam mit Lehr- lingen des zweiten Jahres das Projekt zu Ende zu führen. Daraufhin wurde er ein ausgezeichneter Botschafter der Schule. Er beendete seine Rede mit Worten des Dankes, dass er eine gute Chance erhalten habe, der zu werden, der er heute sei: »Das erfüllt mich mit Dank und Stolz!« Lernende zu Lehrenden Einige unserer jetzigen Lehrkräfte be- gannen als Auszubildende bei uns, zum Beispiel Reverien. Er stammt aus einer Familie mit sechs Kindern. Während der Ausbildung starb plötzlich sein Vater, der als Wachmann an der Schule ange- stellt war. Wir erfuhren, dass die Familie in extrem schlechten Verhältnissen lebte und dass zwei seiner Schwestern die Schule verlassen mussten, da sie kein Schulgeld zahlen konnten. Als wir weite- re Schwierigkeiten der Familie und ihre TEXT UND FOTOS: Ivica Peric´ ofm Der kroatische Franziskanermissionar Pater Ivica Peric´ lebt im Dorf Kivumu in Ruanda und arbeitet in der Pastoral der Pfarrei mit etwa 30.000 Christen und zahlreichen Christlichen Basisge- meinden. Außerdem leitet er die Pater-Vjeko-Berufsschule, die seit 1999 jungen Menschen handwerkliche Fähigkeiten vermit- telt. In Ruanda, einem äußerst armen Land, kann nur überleben, wer eine Arbeit hat, um sich selbst und seine Familie zu ernähren. Ein Traum wird wahr! Schulgemeinschaft fördert Versöhnung baufällige Hütte sahen, bauten wir für sie, mit Unterstützung von Wohltätern, ein neues kleines Haus. Ferner konn- ten wir die zwei Schwestern in unserer Schneider-Abteilung einschreiben. Beide haben die Ausbildung erfolgreich abge- schlossen. Eines der Mädchen erhielt von der Schule eine Nähmaschine, damit sie nun mit Schneider- und Näharbeiten die Familie finanziell unterstützen kann. Auch zwei Brüder von Reverien machen jetzt eine Ausbildung in unserer Schule. Als Reverien selbst seine Aus- bildung abgeschlossen hatte, stellten wir ihn als Lehrer ein. Jetzt ist er ein wertvolles Mitglied im Lehrerkollegium und arbeitet sehr gut mit allen zusam- men. »Durch die Ausbildung meiner Geschwister konnte unserer Familie nachhaltig geholfen werden, Armut und Not zu überwinden und eine Chance für ein menschliches Leben zu erwerben.« Ein anderes Beispiel ist Brigette. Sie war ebenfalls ehemalige Schülerin und ist jetzt eine unserer Lehrerinnen. Sie hatte drei Brüder und fünf Schwes- tern und brauchte eine Möglichkeit, um ihre Familie zu unterstützen. Sie beschloss, das Maurerhandwerk zu lernen. Die Nachfrage nach Maurern ist in Ruanda sehr hoch, da die meisten 22 | 23

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