Franziskaner Mission 2 | 2021

einer Scheinadresse anzumelden, dann bleibt eigentlich nur Schwarzarbeit zu Dumpinglöhnen oder das (organisierte) Betteln. Eine weitere Herausforderung: Die südosteuropäischen Obdachlosen sind bei den deutschen Wohnungslosen in der Regel nicht besonders beliebt. »Was wollen die hier? Die nehmen uns nur alles weg!«, lautet der Vorwurf. So hatte Paulo fast ausschließlich zu ande- ren Rumänen Kontakt. Viele von ihnen hausen irgendwo in der Stadt in Zelten, Autos oder Baracken. In den letzten Jahren ist es in manchen deutschen Kommunen ge­ lungen, durch mehr Pragmatismus in der Sozialpolitik spezielle Unterstüt­ zungsangebote für EU-Ausländer auf- zubauen. So gibt es jetzt in einigen Städten zumindest Notübernachtungs- und Beratungsmöglichkeiten für diese Zielgruppe – auch in Köln. Für Paulo war dies ein erster Schritt zu mehr Halt und Perspektive. Er lebt immer noch in Köln. Irgendwie geht’s weiter … Unter sich bleiben Ein anderes Beispiel: Zwei Jahre lang un- terstützte ich meinen Mitbruder Jürgen Neitzert ofm bei seinem pädagogischen Engagement für Migranten-Jugendliche im Kölner Stadtteil Vingst. In dem von Jürgen gegründeten »Jugendtreff Vingst« kommen bis heute verschiedene Jungen- und Mädchengruppen zusam- men, alles Jugendliche mit türkischem, kurdischem, bulgarischem, mazedoni- »Und raus bist Du …!« Gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland »Die schlimmste Krankheit ist nicht Lepra oder die Tuberkulose, sondern das Gefühl, von niemanden angesehen zu werden, ungeliebt zu sein, verlassen von jedermann«, meinte Mutter Theresa einmal. Es ist existenzbedrohend, ausgeschlossen zu sein, nicht dazuzugehören. Dies gilt nicht nur in Staaten mit mangelhafter medizinischer und sozialer Versorgung. Ausgeschlossen sein, das gibt es auch bei uns. Status: Tourist »Markus, biglietto per mangiare …?« Ein Sommerabend vor sieben Jahren in Köln. Vor mir stand Paulo (Name geändert), ein 28-jähriger Rumäne von zierlicher Gestalt. Mit erwartungsvol- lem Blick fragte er mich nach Essens- Gutscheinen für »Gulliver«, die Über- lebensstation für Obdachlose hinter dem Kölner Hauptbahnhof. Er sprach Rumänisch, Türkisch, Italienisch und ein wenig Deutsch. Sobald er den Mund öffnete, sah man sein fast zahnloses Gebiss. Ich kannte Paulo. Er kam offiziell als Tourist nach Köln, suchte aber ei- gentlich ein neues Leben und eine feste Arbeit – wie so viele andere osteuro- päische Armutsflüchtlinge auch. Außer Gelegenheitsjobs kam bei ihm bislang nicht viel dabei heraus. Wenn das Geld gar nicht mehr reichte, dann prostitu- ierte er sich. Das war äußerst gefährlich; Paulo war HIV-positiv. Jeden Abend um 21 Uhr ver- sammeln sich bis heute am Kölner Appellhofplatz rund 80 Menschen und erwarten den Kleinbus einer Hilfsorga- nisation, die frisch zubereitete Suppe sowie Brot und Tee an Bedürftige verteilt. Während meiner Tätigkeit als Wohnungslosenseelsorger in Köln war ich regelmäßig bei der abendlichen Suppenausgabe zu Gast. Ich versuchte, ein Ohr zu haben für die Menschen und ihre Geschichten, die oft von Ge- walt, von zerbrochenen Beziehungen, Missbrauch, Armut, Sucht und Ein­ samkeit erzählen. Aber immer wieder auch von Hoffnung, von Zuversicht und dem Willen, neu anzufangen. Keine legale Arbeit Paulo kam fast jeden Abend zur Suppen- ausgabe. Für ihn war es schwierig mit dem Neuanfang; denn rechtlich galt er wie alle Wohnungslosen aus dem EU-Aus- land als Tourist. Er durfte sich in Deutsch- land aufhalten, aber im Bedarfsfall be­ stand kein Anspruch auf Hilfsleistungen. Dadurch hatte Paulo zu den meisten Angeboten für Wohnungslose keinen Zugang. Legale Arbeitsmöglichkeiten bestehen für ausländische Wohnungslose kaum. Wenn es nicht gelingt, sich unter TEXT UND FOTOS: Markus Fuhrmann ofm Kapellenfenster in Köln-Vingst: Franziskus umarmt einen Aussätzigen. 8 | 9

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