Franziskaner Mission 3 | 2021

Sowohl in der aktuellen als auch in der früheren Ausgabe des Gotteslobes ist unter der Rubrik »Verantwortung für die Welt« das sogenannte »Gebet der Ver- einten Nationen« abgedruckt. Obwohl die meisten von Ihnen sicherlich mit dem Gotteslob vertraut sind, so mag vielleicht erstaunen, dass ein Gebet dieser politischen Organisation der Ver- einten Nationen existiert. Zunächst einige kurze Informa­ tionen zu dem Gebet: Der im Gotteslob abgedruckte Text ist nur ein kleiner Teil eines Gebetes, das ursprünglich für den »Flag Day« 1942 von Stephen Vincent Benet verfasst und von dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt am Ende seiner Ansprache verlesen wurde. Das Gebet wurde zwar in den Zusammenhang mit der Deklaration der Vereinten Nationen gebracht, kann aber aufgrund der zeitlichen Epoche nicht von dieser politischen Organisation stammen. Dieses Gebet mag jedoch in uns die Frage aufwerfen, welche Rolle Spiri- tualität und Gottesbezug in den politi­ schen Verhandlungen zwischen den Staa- ten bei den Vereinten Nationen spielen. Ähnlich gelagert ist die Frage, inwieweit es Sinn ergibt, dass sich zahl- reiche katholische Organisationen, wie etwa Caritas oder Misereor, bei den Vereinten Nationen engagieren. Darüber hinaus sind auch einige Ordensgemein- schaften vertreten, wie etwa unsere Nichtregierungsorganisation (NGO) »Franciscans International«, welche die gesamte Franziskanische Familie bei den Vereinten Nationen repräsentiert. Gerne möchte ich diesbezüglich drei Gedanken mit Ihnen teilen. Zunächst ist zu sagen, dass auch bei Verhandlungen um politische Fragen immer auch die religiöse Dimension mit eine Rolle spielt. Sowohl die Staatsver- treter und Diplomaten selbst wissen sich zum größten Teil einer Religion ange- hörig als auch die Menschen, die sie vertreten. Wir sind stets beides, sowohl Staatsbürger, eingebunden in soziale Bezüge, als auch spirituelle Wesen und zumeist einer Religion zugehörig. Umgekehrt gilt in gleicher Weise, dass unsere Gottesbeziehung immer auch mit unserer Beziehung zu den Mit- menschen und zur gesamten Schöpfung zu tun hat. Hieran erinnern uns sowohl die Propheten als auch Jesus selbst, der dies in dem sogenannten Doppelgebot auf den Punkt bringt: Du sollst Gott über alles lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Dieses Gebot der Liebe fand sich als Fundament der katholischen So- ziallehre wieder und erfuhr eine Verstär- kung und Aktualisierung in den beiden Politik und Spiritualität Gebet der Vereinten Nationen Enzykliken von Papst Franziskus, »Laudato Si« und »Fratelli tutti«. Aus diesem Geist heraus engagieren wir uns als Franziskani- sche Orden und Gemeinschaften bei den Vereinten Nationen. Schließlich ist zu sagen, dass Beten nicht nur eine Einbahnstraße ist, indem wir unsere Bitten an Gott herantragen. Gebet ist immer auch Zwiesprache, und so ist das Hören auf Gott eine wesent- liche Dimension. Im Gebet setzen wir uns Gott und seiner Botschaft aus. Es gilt unser Leben und Handeln vor Gott zu reflektieren und an seinem Willen auszu- richten. Dies veranlasste den ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Dag Hammarskjöld (1905–1961), dazu, einen Raum der Stille im Gebäude der Vereinten Nationen in New York einrich- ten zu lassen. Möge uns das sogenannte »Gebet der Vereinten Nationen« eine Inspiration sein in der Übernahme unserer christ­ lichen Verantwortung für diese Welt. Der Autor Markus Heinze gehört zur Deutschen Franziskanerprovinz und ist seit 2015 Geschäftsführer von »Franciscans International« in Genf. Franziskaner schließen sich einem Klimaprotest vor dem Sitz der Vereinten Nationen in Genf an.

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