Franziskaner Mission 3 | 2021

Der Autor Pascal Raymond Rabemahafaly stammt gebürtig aus Madagaskar, gehört zur Ostafrikanischen Franziskanerprovinz und arbei- tet zurzeit als Pilgerseelsorger in Nazareth, Israel. Übersetzung aus dem Englischen: Heinrich Gockel ofm Totenverehrung auf Madagaskar »Famadihana« – Rituelle Umbettung der Toten Auf der Insel Madagaskar leben meh- rere Volksstämme, die zwar als ein Volk dieselbe Sprache sprechen, aber doch unterschiedliche Traditionen pflegen. Den Bewohnern des Hochplateaus – den Merina, Vakinankaratra und Betsileo – liegt besonders die Tradition der Totenumbettung, in der Lokalspra- che Famadihana genannt, am Herzen. Und so feiern sie alle sieben bis zehn Jahre diese Zeremonie: Die sterblichen Überreste der Angehörigen werden exhumiert und in neue Leichentücher gehüllt. Zu diesen Festlichkeiten kom- men alle Familienmitglieder zusammen. Während meines Philosophiestudiums konnte ich viele Male daran teilnehmen. Von katholischer Seite wird diese Zeremonie als rein kulturelle, nicht religiöse Feier toleriert. Die Wichtigkeit dieser Zeremonie betont ein Gemeindemitglied, wenn er bemerkt: »Dieser Brauch ist für uns bedeutsam, da wir auf diese Weise unsere Toten respektieren. Zudem ist diese Feier Anlass für die komplette Familie, aus dem ganzen Land zusammenzukommen.« Für traditionsverbun- dene Madagassen ist die Seele im menschlichen Körper die Quelle des Lebens: Die Seele formt den Menschen. Der Leib kehrt zur Erde zurück, wenn er begraben wird, aber die Seele – der Lebensatem – verbindet sich mit der Luft des Himmels und steigt zum Himmel auf, zu Gott, seinem Schöpfer. Somit sind Erde und Himmel die Eigentümer der Menschen. Durch beides erscheint Gott und wird sichtbar. Das Leben gehört nicht den Menschen. Zum Leben des Körpers gehört auch der Geist. Im Verständnis der Ahnenverehrung verdankt der Körper das Leben dem Geist. Nach traditionel- lem madagassischem Glauben können nur diejenigen Vorfahren werden, die traditionsgemäß beerdigt wurden. Eine Beisetzung ist dann korrekt, wenn jeder Ritus der Bestattungstradition befolgt wurde. Denn nur dadurch gilt ein Verstorbener als Vorfahre und kann die Hinterbliebenen segnen. Nach einer gebührenden Feier, an der alle Familien- mitglieder – jung und alt – teilnehmen, werden die Verstorbenen nicht mehr betrauert und alle Verwandten sind dann zufrieden und zuversichtlich. Die Zeremonie der Umbettung des Leichnams ist eine Ehrenbezeugung und will an die Ursprünge erinnern, an die Quellen, aus denen die Nachkom- men zur Welt kamen. Es ist ergreifend, bei der Famadihana die Überreste der Vorfahren zu sehen. Der trockene Leichnam wird in ein neues Leinentuch gewickelt und tanzend und singend mit Händen und Armen hoch über dem Kopf getragen. Auf diese Weise kann man aus tiefstem Herzen mit den unsichtbaren Vorfahren kommu- nizieren und um ihren Segen bitten. Für Verwandte und Freunde ist es ein farbenfrohes Fest. Man dankt den Vorfahren und teilt reichlich gebratenes Zebu- oder Schweinefleisch und Reis aus, um die Gemeinschaft mit Ahnen, Verwandten und Freunden zu feiern. Die Unkosten für Festessen, neue Grab­ tücher und Grabmalreparaturen können rund 18.000.000 Ariary (4.000 Euro) betragen, die von den beteiligten Fami­ lien anteilig getragen werden. Während der Famadihana-Zere- monie sind alle glücklich und zufrieden, denn bestehende Familienprobleme werden vergessen. Man sieht zuversicht- lich einer besseren Zukunft entgegen, da Gott und die Ahnen anwesend sind, um die Feiernden zu segnen und sie bei all ihren Unternehmungen zu lenken und zu begleiten. 25

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=