Franziskaner Mission 2 | 2022

Sonnengesang und Buddhismus Eine Annäherung Diese gemeinsame Schau mag – viel- leicht – etwas ganz Grundlegendes zu Tage fördern oder sichtbar machen, nämlich den Bezug zwischen Natur und Heiligkeit. Aus dieser gemeinsamen Pers- pektive könnte etwas ersichtlich werden, was in einer die Schöpfung immer weiter verschlingenden Zeit notwendig und hilfreich ist. Es geht um eine Sicht der Natur, die nicht auf vorchristliche, animistische oder biosystemische Ideen zurückgreifen muss, um den Wert der Natur aufzuzeigen. Vielmehr liefert der Dialog der Religionen wesentliche Antworten auf die ökologische Krise des 21. Jahrhunderts. Notwendig ist an dieser Stelle eine kritische Anmerkung des Autors. Dieser Text ist weder religionswissen- schaftlich noch theologisch präzise. Die deutsche Übersetzung eines mittelal- terlichen Textes wird verwendet, um ebenfalls mit übersetzten Quellen einer anderen Weltreligion aus mehreren Jahrhunderten und verschiedenen kultu- rellen Kontexten eine Zusammenschau anzustreben. Von dem her hat dieser Artikel keinerlei Wahrheitsanspruch. Er möchte lediglich dazu anregen, neue Perspektiven zu entwickeln. Idealer Dialogpartner Christliche Ordensgemeinschaften sind seit Beginn des interreligiösen Dialogs in besonderer Weise offen und interes- siert am Gespräch mit buddhistischen Traditionen. Dies mag unter anderem an der kontemplativen Natur vieler christlicher Orden liegen. Sie entdeckten Verwandtes in dem das Meditative so betonenden Buddhismus. Nun zeichnet sich der Buddhismus durch eine Vielzahl an verschiedenen Traditionslinien und Schulen aus. Für diese Zusammenschau bietet sich der Ch'an beziehungsweise Zen-Buddhismus besonders an. Die Einschränkung auf diese Richtung des Buddhismus (in geographisch und his- torisch aber durchaus noch unterschied- licher Ausprägung) ist notwendig und geboten. Einerseits um das Thema nicht vollends ausufern zu lassen, andererseits aber vor allem, weil Zen, wie die beiden Formen Zen und Ch'an der Einfachheit halber im Folgenden zusammengefasst werden, eine besondere und ausdrück- liche Nähe zur Natur aufweist, die ihn von anderen Formen des Buddhismus unterscheidet. Zen ist die japanische Spielart des chinesischen Ch'an, einer Schule des so genannten Mahayana-Buddhis- mus, die auch noch verwandte Formen in Korea und Vietnam und anderswo kennt. Historisch hat sich Ch'an im 6. bis 8. Jahrhundert n. Chr. in China in einer Auseinandersetzung älterer buddhistischer Richtungen mit Taois- mus und Konfuzianismus entwickelt und wurde zur zeitweise dominierenden Form des Buddhismus in China. Im 12. und 13. Jahrhundert n. Chr. fanden verschiedene Schulen des Ch’an ihren Weg nach Japan und ergänzten die dort schon vorhandenen Schulen des Bud- dhismus. Der japanische Zen entwickelt dabei eine ganz eigene Ausprägung, die sich auch in einer vertieften Beziehung zur Natur zeigt. Buddhistische Mönche sind Bettelmönche. Diese Tradition geht schon auf den Begründer des Buddhis- mus, Siddharta Gautama, zurück. Im Zen finden sich viele Anekdoten und Begebenheiten von Einsiedlern, die ein einfaches Leben in der Natur führen. In der japanischen Dichtung prägte sich die Verbundenheit von Absolutem und Natur besonders aus. In den Gedichten des Mönches Ryokan (1758–1831) wird diese Einfachheit und Verbunden- heit gut deutlich: Der Regen hat aufgehört, die Wolken sind weggezogen, Und der Himmel ist wieder klar. Wenn dein Herz rein ist, Dann sind alle Dinge deiner Welt rein. Gib diese vergängliche Welt auf, gib dich selbst auf. Dann werden der Mond und die Blumen Dir den Weg weisen. Zwischen einem der bedeutendsten Texte franziskanischer Spiritualität und einer Epochen und Kontinente überspannenden Weltreligion Verbindungen herzustellen, ist mehr als vermessen. Vielmehr aber möchte an dieser Stelle eine gemeinsame Perspektive eröffnet werden, die sich einerseits aus dem wunderbaren Text Franziskus‘, andererseits aus der besonderen Haltung zur Natur im chinesischen Ch'an beziehungsweise japanischen Zen-Buddhismus ergibt. TEXT: Dr. Florian Seidl | FOTO: Photo Gallery /stock.adobe.com 32

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