Franziskaner Mission 2 | 2022

TEXT UND FOTO: Reinhold Brumberger ofm Hier in Bolivien ist fast alles – im Vergleich zu Deutschland – anders. Schließlich liegt Bolivien in Südamerika und auf dem südlichen Teil des Globus. Nicht nur die Sprache ist anders, nämlich Spanisch. Auch die Kultur und selbst das Wetter sind anders. Tanzender Engel Das Klima und seine Tücken Der Autor Reinhold Brumberger ist Pfarrer der Franziskanerpfarrei San Javier in Bolivien. Die Leute sagen: »Jetzt kommt der Sur«, und man sucht warme Kleider und irgendeinen Regen- schutz – oder man bleibt ganz einfach zu Hause. Sur bedeutet »Süden«, und wenn der Wind aus dem Sur kommt, dann wird es kalt, für uns hier »eiskalt«, bis auf circa 10° C über Null. Viele Leute tragen Mützen und Handschuhe. Und vielfach kommt der Sur auch mit Regen und starkem Wind. Es gibt keine Heizung, und viele Häuser oder Hütten haben wenig Windschutz oder auch viele Tropfstellen. Der beste Schutz ist das Haus selbst, und darin macht man teilweise auch Feuer. Oft fällt auch der Schulunterricht aus, und die Leute kommen nicht zu den Versammlungen und nur wenige zu Gottesdiensten. Der Sur dauert normalerweise nur wenige Tage und tritt beson- ders in der Trockenzeit auf (Mai bis Oktober). Wie in Deutschland die »Eisheiligen«, so haben auch hier die Sure meist ihren Heiligen – zum Beispiel den Sur de la Virgen de Carmen oder den Sur de Juan Bautista. Man sieht vom Süden her die schwarzen Wolken, dann kommt der starke Wind, und die Temperatur fällt in wenigen Stunden von rund 30° auf circa 10° C oder noch weniger. Das Gegenteil ist der »Norte«: Es ist der Wind aus dem Norden, der warm oder sogar heiß ist und manchmal auch Regen bringt. Nur selten kommt der Wind aus dem Osten oder dem Westen. Wie weiß man, woher der Wind weht? Natürlich spürt man das, doch es gibt auch Zei- chen. Besonders gut kann man es an den Blättern der Palmen sehen, die leicht vom Wind je nach Windrichtung bewegt werden. Ein untrügliches und geradezu »himmlisches« Zeichen ist unsere Wetterfahne auf dem einfachen, niedrigen und hölzernen Glockenturm: Es ist ein Engel, der mit seiner Posaune dem jeweiligen Wind entgegenbläst. Und es ist auch interessant, wie der Engel tanzt, wenn der Wetterwechsel kommt, bis er sich entscheidet und in Ruhe die neue Windrichtung angibt. Immer, wenn ich aus meinem Büro auf die Veranda hinaustrete, geht zuerst mein Blick zum »Engel«. Seine Botschaft ist klar und deutlich, wenn auch nicht immer angenehm. Es ist aber durch- aus gut zu wissen, woher der Wind weht. Der Engel bläst seine Botschaft dem Wind entgegen: Glockenturm mit Wetterfahne in San Javier. 16 | 17

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