Franziskaner Mission 2 | 2022

Die ersten Europäer, die nach Brasilien kamen, stießen auf eine große Anzahl von Heilpflanzen, die von den hier leben- den Ureinwohnern verwendet wurden. Das Wissen über die Heilkraft der ein­ heimischen Flora verschmolz zum Teil mit dem aus Europa mitgebrachten medizinischen Wissen. Und die afrikani- schen Sklaven trugen das Ihre durch die Verwendung von aus Afrika mitgebrach- ten Pflanzen und Traditionen bei. In Brasilien verwenden etwa 80 Prozent der Bevölkerung in ihrer Gesundheitsversorgung Produkte auf der Grundlage von Heilpflanzen. Dabei stüt- zen sie sich auf Wissen aus der traditio- nellen indigenen und afrobrasilianischen Medizin. Die Erfahrungen einer langen Verwendung bestimmter Heilpflanzen und deren vor allem mündliche Über- lieferung von Generation zu Generation spielen hierbei eine besondere Rolle. Manche dieser Traditionen sind sogar ins heutige staatliche Gesundheitssystem als eine Art Naturheilkunde eingeflos- sen und orientieren sich an den offiziell geltenden Grundsätzen und Richtlinien. In früheren Zeiten wurden Pflanzen direkt gegen allerlei Arten von Krankheiten eingesetzt. Die Heilung war spontan und progressiv, die Men- schen spürten, wie die Krankheit den Körper verließ, und sie wurden wirklich von geistigen, seelischen und körperli- chen Krankheiten geheilt. Die Medizin wurde Kranken angeboten, um sie nach einem Moment des Zuhörens und Betens zu behandeln. Heute werden viele Menschen von Krankheiten geheilt, indem sie die Blätter, Wurzeln oder Samen der Heilpflanzen als Tee, in Form von Salben oder Tabletten, in kalten Eine sorgende Mutter Heilende Kraft der Natur Das Wissen um die Heilkraft bestimmter Pflanzen ist eine der Formen der Beziehung zwischen den Menschen und der Pflanzenwelt. Zahlreiche Gruppen – auch gerade vom gesellschaftlichen Rand, wie im armen Nordostbrasilien – nutzen Praktiken der traditionellen Heilpflanzenkunde als Alternative für die Erhaltung der Gesundheit oder die Behandlung von Krankheiten. Die Autorin Maria das Graças Pereira Gomes gehört zur Kongregation der franzis- kanischen Katechetenschwestern. Sie lebt in Teresina, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Piauí, und engagiert sich seit vie- len Jahren in der traditionellen Naturheilkunde. Übersetzung aus dem Portugiesischen: Augustinus Diekmann ofm TEXT: Maria das Graças Pereira Gomes CF | FOTO: Vanderval Spadetti und heißen Bädern oder als Extrakt bei Massagen verwenden. Gegenwärtig ist unter dem Begriff Phytotherapie die Anwendung von Arzneimitteln gemeint, die ausschließlich aus pflanzlichen Rohstoffen oder deren Extrakten hergestellt und zu medizinischen Zwecken eingesetzt werden. Infolgedessen hat die Verwendung von pflanzlichen Arz- neimitteln eine große sozioökonomische Bedeutung für die Lebensqualität einkom- mensschwacher Bevölkerungsgruppen. Denn die Mittel sind leicht verfügbar und, im Vergleich zu allopathischen (schulme- dizinischen) Arzneimitteln, kostengünstig oder kostenfrei. Der Fortbestand der Naturheilkun- de kann jedoch durch Faktoren bedroht werden wie die stärkere Einbindung der Gemeinschaften in die städtisch-industri- elle Gesellschaft. Hier entsteht wirtschaft- licher und kultureller Druck von außen sowie der leichtere Zugang zu modernen medizinischen Leistungen. Andererseits bringen Einsichten und Entdeckungen der modernen Medizin nicht selten eine will- kommene Ergänzung zur heilenden Kraft von Mutter Erde. Heilpflanzen-Garten in einer Familienlandwirtschaftsschule 26

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