Franziskaner Mission 3 | 2022

Mut zum Leben Von Jesus lernen, Krisen anzunehmen Den allermeisten Dingen, die um uns herum gesche- hen, sind wir als Einzelne ohnmächtig ausgeliefert. Wir können die Klimaerwärmung und das Leid, das sie bringt, als Einzelne nicht aufhalten. Wir können Wladimir Putin nicht daran hindern, Krieg zu führen. Wir können das Corona-Virus nicht daran hindern, Menschen krank zu machen.   Und selbst wenn wir genau wüssten, was richtig und hilfreich zu tun wäre – wir könnten nicht die ganze Welt dazu zwingen, es zu tun. Und wir könnten schließlich auch dann nicht verhindern, dass in unserem Umfeld getrauert und gelitten wird, denn wir können uns selbst und andere nicht gänz- lich vor Leid bewahren.  Ohnmacht und Hoffnung Generationen von Christinnen und Christen sind aufgewachsen mit der Vorstellung, ihre Ohnmacht und das Leben hier auf Erden überhaupt sei nur die leidvolle Vorstufe für ein ewiges Leben dereinst im Himmel. Auch wenn jetzt vieles schlecht sei, werde dann einst alles gut sein. Aber nicht nur, dass diese Hoffnung brüchig geworden ist – immer weniger Menschen antworten auf die Frage, ob sie an ein Leben nach dem Tod glauben, mit Ja –, interessanterweise entspricht die Hoffnung auf ein Leben »danach« überhaupt nicht dem, was Jesus selbst gepredigt hat. Seine Botschaft war ganz auf die Gegenwart ausgerichtet: Das Reich Gottes ist JETZT da. Nicht erst, wenn alle Probleme überwunden sind, beginnt der Himmel, sondern eben jetzt, IN allem und MIT allem und DURCH alles hindurch. Jesus ist nicht gekommen, um uns unsere Ohnmacht zu nehmen, sondern er ist gekommen, um uns genau in dieser Ohnmacht zu begegnen. Die gute Nachricht lautet daher: Wer die Ohnmacht (noch) spürt, hat die Fähigkeit zur Hoffnung (noch) nicht verloren. Auch wenn das paradox klingen mag. Annehmen statt ausblenden Hoffnung gründet sich nicht darauf, dass wir einen Ausweg wissen. Die Fähigkeit zur Hoffnung geht auch nicht dadurch verloren, dass wir keinen Aus- weg wissen. Die Fähigkeit zur Hoffnung geht erst dann verloren, wenn wir beginnen, die Ohnmacht und alles Negative auszublenden. Wir blenden aus, wenn wir Probleme tabu- isieren und einfach nicht mehr ansprechen und so tun, als gäbe es sie nicht. Wir blenden aus, wenn wir Menschen aus dem Weg gehen, weil wir ihr Leid nicht ertragen können oder weil wir glauben, wir würden sie schützen und schonen, wenn wir sie nicht ansprechen auf ihre Trauer, auf ihre Krankheit, auf ihren Schmerz.  Wenn wir ausblenden, dann belügen wir uns selbst, denn wir tun so, als könnten wir wenigstens ein klein bisschen die Kontrolle über irgendetwas ge- winnen. Hoffnung besteht aber nicht darin, irgend- etwas zu kontrollieren oder genau zu wissen, wie es weitergehen kann, sondern Hoffnung besteht darin, das Nichtwissen und die Ohnmacht anzunehmen und darin weiterzugehen.  Wilde Spiritualität Wie das geht, können wir uns sehr gut bei Jesus abschauen: Wenn er gebetet hat, heißt es oft in der Bibel, ging er an einen einsamen Ort. Der einsame Ort ist »eremos«, das griechische Wort für »Wüste« oder auch einfach nur »wilde Natur«.  Im Orient ist die Wüste jener wilde Ort, der in unseren Breiten der Wald ist. Wir könnten also sagen: Jesus ging zum Beten in die Wildnis. Er knüpft damit an eine uralte Praxis an, die Menschen in die Natur geführt hat auf der Suche nach Orientierung.  Mose zum Beispiel hat den brennenden Dornbusch auch nicht im Vorgarten gefunden, sondern in der Wildnis der Wüste. Es ist heutzutage nicht schwer, die Hoffnung zu verlieren. Es braucht nur einen Blick in die Nachrichten, in die Lokalzeitung oder in den Freundes- und Bekanntenkreis. Überall Probleme. Überall Krisen. Überall Katastrophen. TEXT: Jan Frerichs osf | FOTO: kovalenk I stock.adobe.com 10

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