Franziskaner Mission 4 | 2022

Wie könnt ihr den Eltern in dieser Zerrissenheit zur Seite stehen? Neben dem eigentlichen PEKiP-Programm werden gerade diese Themen durch die Kursleiterinnen aufgegriffen. Wir bestärken die Eltern darin, sich und dem Kind Zeit zu lassen, für eine ganzheitliche Entwicklung. Es kommt vor, dass nach solchen gemeinsamen Überlegungen die Elternzeit verlängert wird. Und die Eltern können sich mit anderen Eltern im vertrauten Rahmen der Gruppe austauschen. Durch diese ganz persönlichen Gespräche entstehen oft tragende Freundschaften. Nehmen auch Väter an diesen Kursen teil? Seit 2007 gibt es die Möglichkeit für alle Väter, Elternzeit zu nehmen. So kommen die Väter manchmal mit, aber durchaus für einige Zeit auch allein mit dem Baby, wenn die Frau wieder arbeitet. Auch im traditionellen Eichsfeld wird es mehr und mehr normal, dass Väter den Kinderwagen schieben oder mit Tragetuch zu sehen sind. Woher kommen die Eltern zu euch? Unsere Veranstaltungen stehen allen offen und werden von Menschen aus ei- nem Umkreis von 30 Kilometern besucht. Mit unseren zunehmenden Online-Bil- dungsangeboten erhöht sich die Reichweite deutschlandweit. Die Teilnehmenden gehören eher zur Mittelschicht. Andere Angebote wie die »Eltern-AG« hingegen sind Präventionsprogramme für Familien in belastenden Lebenslagen. Worum geht es bei diesen Präventionskursen? In diesen Familien fehlen den Eltern Ressourcen, um ihre Erziehungsverantwortung und die Bedürfnisse der Kinder gut wahrzunehmen, sei es auf Grund von chronischen Erkrankungen, Suchtproblematiken oder anderen Ursachen. Wir versuchen zu sensibilisieren: Was braucht dein Kind? Ist es zu vielen oder zu wenigen Reizen ausgesetzt? Kann sich dein Kind gesund entwickeln? Suchen diese Familien gezielt bei euch Hilfe? Die Eltern-AG ist Teil einer beruflichen Maßnahme des Arbeitsamts. Die Teilnahme ist teilweise verpflichtend. Das erste Mal kommen die meisten ungern, später sind sie traurig, wenn der Kurs zu Ende ist. Wodurch kommt dieser Wandel? Bei vielen dieser Eltern ist das Selbstwertgefühl (sehr) gering ausgeprägt oder sie haben verschiedenste Ängste. Es geht uns um Empowerment, also Mut machen, Talente »feiern«. Wenn es den Eltern gut geht, dann geht es auch den Kindern gut. Es steckt ein wissenschaftlich erprobtes Konzept hinter der Eltern-AG. Die 20 wöchentlichen Treffen laufen stets gleich ab: Im ersten Teil erzählen die Teilnehmenden von ihrem Alltag, danach folgen Fragen wie »Wie kann ich meinen aufregenden Elternalltag entspannen und gestalten?«. Im letzten Teil gibt es je einen von allen Eltern ausgesuchten Fachbeitrag in leichter Sprache zu einem Erziehungsthema. Das hört sich sehr wertvoll an! Eure Angebote richten sich also vermehrt an junge Familien? Im Familienzentrum haben wir Angebote für alle Generationen. Mit dem Projekt »Familienzentrum Mobil« fahren wir auch in weit entfernte Orte des Eichsfelds, um die Benachteiligung von Menschen auf Dörfern zu minimieren. Dort bieten wir PEKiP-Kurse an, danach ein Begegnungskaffee für die Eltern mit ihren Kindern, zu dem auch Senioren eingeladen sind. Diese haben im Anschluss ihre eigenen Angebote wie Gedächtnistraining, Sport oder Vor- träge. Unser Ziel ist es, Generationen zusammenzubringen, damit sie Verantwortung füreinander übernehmen. So ein Familienzentrum hat ein breites Spektrum. Es entwickelt sich auch ständig weiter. Ich bin seit acht Jahren Leiterin und empfinde mich zeitweise immer noch in der Einarbeitung. Früher gab es eine große Nachfrage nach Kreativangeboten, das ist heute anders. Die sozialpädagogische Arbeit nimmt zu und mit geschulten Elternbegleiterinnen sind wir präventiv aktiv – wir wollen da sein, bevor sich negative Entwicklungen einschleichen. Die Flüchtlingswelle 2015, Corona, das Klima, der Ukrainekrieg und dessen Folgen – all das bereitet uns, aber auch den Familien Sorgen. Wie kann ein Familienzentrum auf diese Dinge reagieren? Wir versuchen, jeweils adäquate Angebote zu entwickeln. Seit der Flüchtlingswelle 2015 bieten wir eine »Sprach-SpielZeit« für geflüchtete Frauen mit ihren Kleinkindern an. Sie lernen die Sprache und werden beraten, zum Beispiel be- züglich des Gesundheits- und des Bildungssystems in Deutschland. In diesem Jahr kamen Sprachkurse für ukrainische Familien hinzu. Außerdem organisieren wir interkulturelle Begegnungen und ukrainisch orthodoxe Gottesdienste. Weil uns das Miteinander am Herzen liegt, führen wir soziale Trainingseinheiten an Grundschulen durch oder thematisieren immer wieder den Klimaschutz und die Bewahrung der Schöpfung. Längst können wir nicht auf alle Bedarfe reagieren, weil die personellen und finanziellen Ressourcen begrenzt sind. Doch mit einem sehr engagierten Team und vielen Ehrenamtlichen sowie Spenden und Fördermitteln wird vieles leistbar. Pia, gibt es zum Abschluss etwas, was du den Familien heute besonders wünschst? Eltern lassen sich oftmals gesellschaftliche Ansprüche überstülpen und bauen sich so Stress im Alltag auf – kein Kind will gestresste Eltern haben! Kinder brauchen in erster Linie Zeit und Interesse für sie. Weniger ist oftmals mehr: gemeinsame Mahlzeiten und sich öffnen für den Alltag des anderen, Meinungsverschiedenheiten aushalten und diskutieren. Diese kleinen Dinge sind unendlich wertvoll! Den Eltern wünsche ich, sich ihrer Vorbildwirkung bewusst zu sein, sowie ihren heranwachsenden Kindern etwas zuzutrauen, sodass es ihren Kindern ein Anliegen wird, für familiäre Aufgaben und ein gutes Miteinander Verantwortung zu tragen. Das Interview führte René Walke ofm mit Pia Schröter, der Leiterin des Familienzentrums auf dem Kerbschen Berg in Dingelstädt. 11

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