Franziskaner Mission 4 | 2022

Liebe Leserin, lieber Leser! Ab und zu gibt es Umfragen, was Menschen zum Glücklichsein brauchen. Neulich fiel mir wieder einmal eine solche Erhebung in die Hände. Ganz oben stand die Gesundheit. Dann folgten schon bald »gelingende Partnerschaft« und »intakte Familie«, noch weit vor »Geld« und materieller Sicherheit. Das finde ich beachtlich. Allerdings wird die Familie auch bei den größten Belastungen im Leben ziemlich weit oben rangieren. Gerade an Weihnachten wird das deutlich: Das Fest der Familie ist mit hohen Erwartungen verbunden. Manchmal gehen sie in Erfüllung. Oft auch nicht. Streitereien, Konflikte und ausgewachsene Tragödien gehören dann mit zum Festprogramm. Familie ist kostbar. Familie kann aber auch grausam sein. Apropos Weihnachten: Als Gott Mensch wird, fällt er nicht einfach vom Himmel. Selbst Gott braucht Menschen, um Mensch zu werden. Zum Kind in der Krippe gehören darum unbedingt Maria und Josef. Wir brauchen Menschen, um Mensch zu werden. Hier spielt die Familie eine entscheidende Rolle. Frühkindliche Erfahrungen sind prägend für eine ganze Biographie. Auch für den Glauben: Ohne Vorbedingungen angenommen und geliebt zu sein, aufeinander Rücksicht zu nehmen, Verantwortung zu tragen, zu verzeihen und nach einem Streit neu anzufangen, so etwas lerne ich zuerst in der Familie – oder eben auch nicht! Die Rede von Gott als Vater oder Mutter bleibt leer, wenn diese Begriffe nicht durch konkretes Erleben gefüllt sind. Bei all dem behält das klassische Vater-Mutter-Kind-Setting seinen unschätzbaren Wert. Das einzige Modell allerdings ist es nicht mehr und war es noch nie. Das statistische Bundesamt versteht heute unter Familie alle Eltern-Kind-Gemeinschaften, also Ehepaare, nichteheliche Lebensgemeinschaften und Alleinerziehende mit Kindern im Haushalt, wobei es unerheblich ist, ob es leibliche Kinder oder Stief-, Pflege- oder Adoptivkinder sind. So ist das Leben. Und überall gilt: Wir brauchen Menschen, um Mensch zu werden. Die Familie hat eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die persönliche Entwicklung des Einzelnen, für eine Gesellschaft und auch für die Kirche. Von daher ist die Hilfe für Familien und die Begleitung von Familien ebenso wie die Unterstützung von Menschen, denen eine Familie fehlt, immer auch ein wesentlicher Baustein der weltkirchlichen Arbeit von uns Franziskanern. Diese neue Ausgabe unserer Zeitschrift »Franziskaner Mission« berichtet von einigen solcher Projekte und lädt dazu ein, über »Familie« in ihren unterschiedlichen Facetten nachzudenken. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Vor allem aber wünsche ich Ihnen, dass auch Sie Menschen haben, die Ihnen helfen, immer mehr Mensch zu werden und Mensch zu bleiben. Und als Sekretär für Mission und Evangelisierung in unserer Deutschen Franziskanerprovinz danke ich Ihnen sehr herzlich für Ihr Interesse an unserer Arbeit und alle Unterstützung. Herzliche Grüße P. Cornelius Bohl ofm Sekretär für Mission und Evangelisierung TITEL In den armen Basisgemeinden Südamerikas hilft man sich an Weihnachten oft mit sogenannten »lebendigen Krippen«. Ein junges Paar mit neugeborenem Kind positioniert sich als Maria, Josef und Jesus während der Gottesdienste vor dem Altar, so auch auf unserer Mittelseite in Bolivien und auf unserer Titelseite im nordostbrasilianischen Bacabal. Ist das immer der Ausdruck nachhaltigen Familienglücks oder zeigt sich für manche Darsteller der Heiligen Familien ihre Partner- schaft dann doch später als Kreuzweg? Josef von Nazareth ist auf Bitten des Engels bei Maria geblieben, viele Josefs von heute aber leider nicht. 3

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