Franziskaner Mission 4 | 2022

Weihnachten ist Familienzeit. Ein Weihnachtsfest ohne Familienbesuch kaum vorstellbar. Weihnachten ist Zeit der Begegnung und des freudigen Miteinanders. Weihnachten ist Zeit hoher Erwartungen und stressiger Überforderung. Weihnachten ist Krippenzeit. Ein Weihnachtsfest ohne Krippe für die meisten kaum denkbar. Doch welches Familienbild kommt mir da entgegen? Ein Blick in die Krippe Einblick in familiale Lebenswelten TEXT: Stefan Federbusch ofm | ILLUSTRATION: Мария Неноглядова da ist er ja noch, der Josef, aber wo ist er später geblieben? Und wie hat er seine Vaterrolle ausgeübt? Und um mal ganz dezent nachzufragen: War er überhaupt der leibliche Vater? Die Bibel überliefert von diesem Schweiger kein einziges Wort! Annähernd zwanzig Prozent der Kinder leben nur mit einem Elternteil, rund 120.000 Kinder sind zudem jährlich von der Trennung ihrer Eltern betroffen. Postmoderne Idylle Äußerst pointiert hat es einmal der Berliner »Tagesspiegel« in seiner Weihnachtsausgabe auf den Punkt gebracht. Unter dem Titel »Der erste neue Mann« heißt es einleitend in einem Artikel über den heiligen Josef: »Josef spielt in der Weihnachtsgeschichte eher eine Nebenrolle. Zieht ein Kind groß, obwohl es von einem anderen ist. Zumindest schafft er die ganze Kohle ran. Und irgendwann Beim Blick in die Krippe werden die gut dreißig Prozent Einzelkinder in Deutschland sagen: Da schau, Jesus war auch ein Einzelkind. Die Geschwisterkinder können entgegnen: Jesus war zwar der »Erstgeborene«, aber er hatte noch Schwestern und Brüder (vgl. Mt 13,5458; Mk 6,1-6). Ob es sich dabei um leibliche Geschwister oder um Verwandte wie Cousins und Cousinen handelt, bleibt historisch umstritten. Beim Blick in die Krippe werden die verheirateten Eltern sagen: Da schau, eine klassische Kernfamilie von Vater, Mutter und Kind. Die unverheirateten Paare können entgegnen: Ja, aber unverheiratet, denn zumindest zum Zeitpunkt der Schwangerschaft war Maria lediglich verlobt. Schon 2010 hatten im Bundesdurchschnitt 43 Prozent der Erstgeborenen nicht verheiratete Eltern. Beim Blick in die Krippe könnten die Einelternfamilien beziehungsweise Alleinerziehenden anmerken: Da schau, verschwindet er, ohne dass die Bibel noch ein Wort über ihn verliert.« Der Artikel schildert ein postmodernes Familienszenario. Die so genannte Heilige Familie mit Maria, Josef und Jesus als eine Patchworkfamilie: ein unehe- liches Kind, eine zumindest später alleinerziehende Mutter, ein verschwundener Vater und vermutlich ein Einzelkind. »Eine beinahe postmoderne Familienidylle. Fast so unübersichtlich wie heute«, meint der Autor aus dem Tagesspiegel. In der Tat stand die »Heilige Familie« vor vielen handfesten Problemen: ungeplante Schwangerschaft eines jungen Mädchens (Mt 1,31), eher unromantische Geburtsumstände in einem Stall (Lk 2,7), Flucht (Mt 2,13-15), die Sorge um den Wohnsitz und eine gesicherte Existenz, ein pubertierender Jugendlicher, der sich ungefragt und unentschuldigt 6

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