Franziskaner Mission 4 | 2022

Betzaida lernte im Projekt neue Freunde kennen. Es dient aber auch zur (einmaligen) Unterstützung von Familien, die in finanzielle Krisen kommen und vielleicht nicht das geforderte Schulmaterial kaufen oder ihre Kinder nicht mehr ernähren können. Damit sollen an erster Stelle die Kinder zuhause davor geschützt werden, an Essen, Krankheit oder an fehlender Bildung zu leiden. Und sie werden indirekt damit auch psychisch bei derartigen Notfallsituationen entlastet. Das Team vor Ort in Cochabamba betreut die Familien und gibt so die nötige Hilfe zur Selbsthilfe. Not und Elend Dass solche Hilfen notwendig sind, hat mir vor allem folgendes Erlebnis gezeigt: Es war Frühjahr 2019. Die Familie Sandi Chumacero lebte ihr hartes und bescheidenes Leben. Gerade hatte Zenobia Sandi Chumacero ihr drittes Kind entbunden. Betzaida (5) und Josue (8) besuchten schon einige Jahre die Hausaufgabenbetreuung und das Mittagessen in dem Projekt. Die Schwangerschaft war für die junge Mutter eine schwierige Zeit gewesen. Sie war ungewollt schwanger geworden. Sie war nur vage über vernünftige Verhütung aufgeklärt und selbst wenn sie es gewesen wäre, sie hätte es sich schlichtweg nicht leisten können. Eine Abtreibung kam vor allem für ihren Mann nicht in Frage und so, geplagt durch die finanzielle Sorge, wie sie ein drittes Kind ernähren sollte, bekam sie ihr Baby. Ihr Mann arbeitete als Schwarzarbeiter auf dem Bau. Sie selbst verkaufte Obst auf der »Cancha«, dem Markt der Stadt. Die Eltern umsorgten ihre Kinder immer sehr. Sie gingen zu allen Besprechungen, die einmal im Monat mit der Projektleitung Pflicht sind, und brachten ihre Kinder so gepflegt wie möglich ins Projekt. Die Kinder hatten, anders als andere, eine sehr gesunde körperliche Statur. Denn in Zeiten, in denen das Essen nicht reichte, gaben die Eltern ihre eigene Ration ihren Kindern. Nach der Geburt des Babys kamen Josue und Betzaida nicht mehr zu uns ins Projekt. Dies war ungewöhnlich, denn sie hatten vorher nie gefehlt. Auf Anrufe reagierten die Eltern nicht. Nach einigen Wochen kamen sie wieder ins Projekt. Beide Kinder hatten deutlich an Gewicht verloren. Die Mutter wurde daraufhin sofort von der Direktorin des Projektes angesprochen. Unter Tränen erzählte sie, dass es ihr peinlich gewesen war, die Kinder zum Hort zu schicken, denn sie hatten schon seit Tagen nichts zu essen. Ihr Mann war bereits seit mehreren Wochen ohne Arbeit. Und durch das Baby konnte sie selbst nicht mehr so viele Stunden arbeiten wie vorher. Betrug und Pech Die Mutter erzählte weiter: Das Geld war knapp geworden und so überlegten sich die Eltern, wie sie sich selbst helfen könnten. Sie berichtete, dass sie von einem Auto-Verkäufer in La Paz gehört hatten, der Fahrzeuge sehr günstig anbot. Sie entschieden sich, ein solches Fahrzeug zu kaufen und als Truffi (eine Art Kleinbus, welcher als öffentliches Verkehrsmittel in Bolivien eingesetzt wird) anzumelden, um Geld zu verdienen. Also trugen sie ihr komplettes Erspartes zusammen, verkauften ihre Wertsachen, nahmen einen Kredit auf und fuhren nach La Paz. Dort angekommen trafen sie auf den Verkäufer und bekamen für ihr Geld einen nagelneuen Van. Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass sich beide Elternteile nicht mit Verträgen auskennen. Keiner von beiden war zur Schule gegangen und sie konnten weder richtig lesen noch schreiben. Und daher empfanden sie es als normal, ein Fahrzeug im Austausch für Geld zu bekommen. Ohne Papiere, ohne Vertrag. Glücklich über ihr neues Auto fuhren sie Richtung Cochabamba. Doch schon an der ersten Schranke, die man zum Verlassen der Stadt passieren muss, wurden sie von Beamten angehalten und nach den Fahrzeugpapieren gefragt, die sie nicht besaßen. Der Beamte zeigte Verständnis und fuhr mit ihnen zusammen an den Ort zurück, an dem sie das Auto gekauft hatten. Als sie ankamen, war dort niemand, und Menschen, die in der Gegend waren und befragt wurden, kannten den Verkäufer angeblich nicht. Der Beamte musste daraufhin ein Bußgeld verhängen, da es in Bolivien illegal ist, ein Fahrzeug ohne Papiere zu besitzen. Die Polizei beschlagnahmte außerdem das Auto. Mit ihrem letzten Geld fuhr das Ehepaar nach Hause. Sie hatten kein Auto mehr und dazu noch Schulden bei der Bank. In den nächsten Tagen gingen ihnen ihre kompletten Essensvorräte aus. Verzweifelt suchten sie nach Arbeit. Sie fanden sich in einer aussichtslosen Situation wieder. Soforthilfe Als die Direktorin das hörte, bot sie der Familie sofort Essensrationen an. Sie gingen Beschäftigungsmöglichkeiten für die Eltern durch und beschlossen, dass Zenobia Sandi in der Näherei mitarbeiten könnte. Beeindruckend war es, dass die Mutter trotz solch einer aussichtslosen Situation den Überlebenswillen nicht verlor. Und sie war nicht gewillt, das Essen als Spende anzunehmen, sondern sie möchte es irgendwann zurückzahlen. Das Projekt hat diese Familie entlastet und ihr geholfen, wieder ein stabiles Umfeld aufzubauen. Heute besuchen alle drei Kinder das Projekt. Sie gehören zu den Besten ihrer Schulklasse und halten ein gesundes Gewicht. Die Eltern arbeiten beide und haben ein geregelteres Einkommen. Die Familie konnte sich mit der Hilfe von »Hilando Sueños« aus ihrer aussichtslosen Situation befreien und für ihre Kinder wieder eine stabile Lebensgrundlage schaffen. Die Autorin Carolina Graef arbeitete ein Jahr im Freiwilligendienst »weltwärts« im Kinderhort »Hilando Sueños«. Heute studiert sie Journalismus und Public Relations in Gelsenkirchen und engagiert sich weiterhin für das Projekt. 17

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