Franziskaner Mission 1 | 2023

Kultur nicht beeinflusst, sondern be- stärkt und bereichert. Während meiner Zeit in Vietnam konnte ich einige Kirchen, die von der Bauart sehr europäisch geprägt sind, sehen. Es hat mit der Vergangenheit des Landes zu tun, die von anderen Ländern beeinflusst ist: Die Franzosen bauten während der französischen Kolonialzeit die Kathedralen in vielen heute berühmten Städten. In Hanoi entstand die St.-Josef-Kathedrale (neugotisch, ein Nachbild der Notre-Dame in Paris) und in Ho-Chi-Minh-Stadt die Notre-Dame Kathedrale (neoromanisch). Sie spiegeln die europäische beziehungsweise französische Architektur wider. Doch hat das mit dem Prozess der Inkulturation zu tun? Wohl kaum, so ist meine erste Reaktion. Zu meinem Trost gibt es noch eine andere Kirchenbauart, die ich bei den ethnischen Minderheiten im zentralen Hochland Tây Nguyên, das in der Sprache der Minderheiten »Gia Lai« heißt, entdeckte. Das Haus »Rong« Bei allen ethnischen Minderheitsvolksgruppen (insgesamt 53) findet man das sogenannte »Nhà Rông« (Haus »Rong«, ein Name der Minderheiten). Varianten des Begriffs sind, je nach Volksgruppe, Nhà Làng (Dorfhaus) sowie Nhà C`oˆng Đ`oˆng (Gemeinschaftshaus). Im Allgemeinen kommt das Nhà Rông in den fünf Provinzen Kontum, Gia Lai, Đa˘´k La˘´k, Đa˘´k Nông und Lâm Đ`oˆng vor. Das Grundgerüst des Hauses ist aus Holz, das mit Rattan und Bambus stabilisiert wird. Das Dach wird aus Schilf oder Stroh so konstruiert, dass es in Form einer riesigen Axt entsteht. Von innen wird das Haus mit Hilfe von Holzbalken und Bambus gestützt. Meistens wird es sehr schlicht ohne Bemalung gestaltet. Zur Innenausstattung gehören im Allgemeinen Jagdwaffen und Götterstatuen. Jedes Haus wird auf Stelzen in bestimmter Höhe gebaut, sodass man nur über eine Treppe einen Zugang zum Gebäude hat. Somit ist ein Schutz vor gefährlichen Tieren gewährleistet. Das Haus Rông steht im Zentrum des Dorfes. Dieses Heiligtum ist ein spiritueller Ort, an dem die Dorfbewohner ihre religiösen Rituale zum Ausdruck bringen und Feste feiern. Ebenso werden hier wichtige Versammlungen abgehalten und Entscheidungen für das Dorf getroffen. Vor jedem Nhà Rông steht der Baum Cây Nêu (übersetzt etwa: Zustands-Baum). Er ist die Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Menschen und Göttern. Respektvoll bauen Die Franziskaner vor Ort haben sich in ihrer Mission bei den ethnischen Minderheiten insbesondere drei wichtige Ziele gesetzt. An erster Stelle setzen sich die Missionare für die Gesundheit der Bevölkerung ein und sorgen für medizinische Hilfe. Darüber hinaus fördern sie intensiv die Bildung der Menschen und geben ihnen somit eine Zukunftsperspektive. Ganz wichtig ist zudem der Respekt gegenüber der Kultur des Landes und der Dorfbewohner. Nur so kann das Wort Gottes in die jeweilige Kultur eingepflanzt werden und lebendig bleiben. So übernehmen die Franziskaner, und auch andere Ordensgemeinschaften, das Beispiel des Hauses Rông, um ihrerseits ein Haus Gottes zu bauen. Es ist eine Kopie des Haus Rông, die im Dorf ihren Platz hat, und sie hat keinen höheren Wert als das originale Haus Rông. An manchen Orten kann man eine Kirche kaum von einem Haus Rông unterscheiden, wenn nicht das Kreuz zu sehen ist. Im Laufe des Kirchenjahres werden hier Gottesdienste und wichtige Feste feierlich gestaltet und zelebriert. Die Liturgie wird nur in Sprachen der Minderheiten abgehalten. Der Gesang wird von traditionellen Instrumenten, wie von den Gongs und T’Ru´ng, begleitet. Ein Haus, wo Gott unter den Menschen wohnt, soll eine Wohnung und ein spiritueller Ort der Menschen sein. Kirche und Nhà Rông geben den Menschen eine Heimat, mit der sich jeder Einzelne identifizieren kann und sich wohl fühlt. Der Aspekt »Bewahrung der Kultur« wird durch den Einklang Kirche und Nhà Rông respektiert und praktiziert. Hier findet man eine gelungene Inkulturation, die man in Vietnam nicht überall sehen kann. Denn meist findet eher ein Rückschritt statt, nämlich die Beeinflussung durch europäische Architektur. Aber die vietnamesische Kirche möchte diese europäische Architektur zitieren und sie begründet dies damit, dass sie sich durch die europäische Architektur von anderen Religionsgemeinschaften unterscheiden will. Kirchenbauherren stehen in einem spannenden Konkurrenz-Wettbewerb bei den Entwürfen von Kirchengebäuden. Je teurer und größer die Kirchen sind, desto mehr Ansehen genießen sie bei den Menschen – so der Gedanke. Das Beispiel der Kirchenbauten bei den ethnischen Minderheiten zeigt uns jedoch, dass Inkulturation sehr viel weiter gedacht werden muss. Die Menschwerdung Gottes umfängt den ganzen Menschen, der die Wohnung Gottes in seiner jeweiligen Kultur am sichtbarsten zum Ausdruck bringen kann. Der Autor Chi Thien Vu gehört zur Deutschen Franziskanerprovinz und lebt als Seelsorger im Franziskanerkonvent Dortmund. Als er zehn Jahre alt war, sind er und seine Familie als sogenannte Boatpeople aus Vietnam geflüchtet und mit Hilfe der »Cap Anamur« nach Deutschland gekommen. Innenansicht einer franziskanischen Pfarrkirche in Vietnam Vorderfront der Pfarrkirche Plei Chuet, Diözese Kon Tum 29

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